Sly Stone: Die (fast) vergessene Funkrock-Legende
„Wir sollten Größen wie Sly Stone feiern, solange sie unter uns weilen“ fordert The Guardian 2016 nach dem Tod von David Bowie und Prince. Zwar wurde er im Februar dieses Jahres mit dem Ehrengrammy für sein Lebenswerk ausgezeichnet – doch wer hat davon mitbekommen? Wie kann es sein, dass einer der wegweisenden Architekten des Funk-Rock derart in Vergessenheit geriet?
Text: Marlies Meier
Es waren in den vergangenen Jahren lediglich Sly Stones Drogeneskapaden, sein sozialer Abstieg und der Streit um Tantiemen, die ihren Weg in die Medien fanden – selten aber sein Werk als visionärer Musiker, Komponist und Bandleader. Er brachte den Funk während der 60er und 70er Jahre in den Mainstream und beinflusste so unterschiedliche Musiker wie Miles Davis, Stevie Wonder, Prince, Michael Jackson, Lenny Kravitz, John Legend und viele andere. Seine Bedeutung für den HipHop ist unbestritten, nicht zuletzt finden bis heute seine Songs als Samples Einzug in die Gegenwart. Grund genug, einen ausführlichen Blick auf die schillernde Person Sly Stone und seine Band zu werfen.
Das musikalische Wunderkind
Als zweites von fünf Kindern wurde Sly Stone als Sylvester Stewart am 15. März 1943 in Dallas/Texas geboren, kurz bevor die Familie nach Vallejo/Kalifornien an die San Francisco Bay zog. In der sehr religiösen Familie wurde Musik groß geschrieben und das nicht nur im Gospelchor der Kirche. Bereits als Kinder gründeten Sly und sein Bruder Freddie sowie seine Schwestern Rose und Vaetta die Gruppe “The Stewart Four“. Bis auf eine ältere Schwester, Loretta, wurden später alle Geschwister Mitglieder der Band Sly & The Family Stone.
Mit sieben Jahren beherrschte Sly schon meisterhaft die Keyboards und mit elf spielte er Gitarre, Bass und Schlagzeug. Auf dem Junior College spielte er Trompete und nahm Kompositionsunterricht. Gemeinsam mit seinem Bruder Freddie gründete er verschiedene kurzlebige Schülerbands. Den Spitznamen Sly erhielt er übrigens von einem Schulfreund, der den Namen falsch – „Slyvester“ – aussprach.
50 Jahre Familienbande – Sly & The Family Stone
Mitte der 60 Jahre jobbte Stone als DJ für den R’n’B-Radiosender KSOL. Im Gegensatz zu seinen Kollegen mischte er seine Playlists mit Soulstücken und Songs von The Beatles, The Rolling Stones oder auch Bob Dylan, also weißen Bands und Künstlern. Zeitgleich arbeitete er für das lokale Label Autumn Records und produzierte kleinere Rock’n’Roll-Alben für verschiedene Bands wie The Beau Brummels, Bobby Freeman und Grace Slicks erster Band The Great Society.
1966 formierte er die Band “Sly & The Stoners“ mit der afroamerikanischen Trompeterin Cynthia Robinson. Sein Bruder Fred war in der Band “Freddie And The Stone Souls”, wo auch Gregg Ericco an den Drums saß. Es war wohl der weiße Saxophonist Jerry Martini, der vorschlug beide Bands zu vereinen, und so waren exakt vor 50 Jahren im März 1967 Sly & The Family Stone geboren. Weiter stießen der Bassist Larry Graham sowie kurz darauf die Stone-Schwestern Vet und Rosie dazu.
“A Whole New Thing”
Während James Brown mit seinem Funk und Soul hauptsächlich das farbige Publikum ansprach, wandte sich Sly Stone gesellschaftsübergreifend an alle. Zum ersten Mal spielen Musiker mit unterschiedlicher Hautfarbe und beiderlei Geschlechts in einer Band und symbolisieren damit das, was sie als Botschaft nach draussen geben wollen – alle sind gleich und gleichberechtigt.
Auch der Sound, den die Band unter Mastermind Sly kreierte, war mehr als revolutionär. Die Mixtur aus kraftvollen R’n’B-Elementen von Motown Stars wie The Tempations und Smokey Robinson und explosiven Rockelementen à la The Rolling Stones und Bob Dylan …. Das Ergebnis war wörtlich “A Whole New Thing”, wie auch ihr Ende 1967 veröffentlichtes Debütalbum heißt.
Doch noch war diese Art Musik zu innovativ für die damalige Radiolandschaft. Man gab Sly den Tipp, mainstream-kompatiblere Songs zu komponieren und er setzte die Vorgaben mit seiner nächsten Single “Dance To The Music” um. Der Titel wurde in den Pop- und R&B-Charts ein Top-Ten-Hit. Sly & the Family Stone standen jetzt kurz vor dem großen Durchbruch. Leider wurde die Veröffentlichung des 1968er-Albums LIFE von den tragischen Ereignissen des Erscheinungsjahres überschattet: der Ermordung von Martin Luther King Jr und Robert Kennedy, der Eskalation des Vietnamkriegs und der Wahl von Nixon zum neuen US-Präsidenten.
Woodstock und andere legendäre Liveauftritte
Im Jahr 1969 wandte sich für Sly & The Family Stone alles zum Guten, als sie mit ihrem Hit “Everyday People” den lang ersehnten Erfolg einfuhren. Der Track wurde zur Nummer 1 in den Billboard Pop- und R&B-Charts, erreichte Goldstatus und bildete den Startschuss für eine fünf Jahre währende Phase, in der die Band zu Dauergästen im Radio und zu einem der begehrtesten Live-Acts der Staaten avancierten.
Ihr Woodstock-Auftritt in den frühen Morgenstunden des dritten Tages und trotz Regens wird als einer der besten des Festivals und Höhepunkt von Sly Stones Karriere bezeichnet. Bereits im Oktober 1968 begeisterten sie in Bill Grahams Fillmore East, der “Church of Rock and Roll”, mit vier furiosen Shows, die sie an zwei Tagen absolvierten. Für Roots-Gitarrist ‘Captain’ Kirk Douglas, der die Konzerthighlights auf der LP “LIVE AT THE FILLMORE EAST OCTOBER 4th & 5th, 1968” zusammenstellte, war dieser Auftritt “… der lebendige Beweis für die Naturgewalt, die Sly & The Family Stone an diesem Punkt ihrer Karriere waren”.
Es folgten noch weitere Alben wie das düstere THERE’S A RIOT GOIN’ ON (1971), Sinnbild für Stones politische und gesellschaftliche Frustration, und FRESH (1973), das zu einem der bedeutendesten Funk-Alben überhaupt zählt.
Doch die üblichen Höhen und Tiefen, die das Bandleben mit sich bringt, forderten 1975 ihren Tribut: Sly & the Family Stone lösten sich auf, die Mitglieder gingen getrennte Wege. Größtes Problem waren die Drogen, bei allen – aber vor allem bei Sly, der stets einen Geigenkasten voll illegaler Drogen mit sich geführt haben soll.
Tribute bei den Grammy Awards 2006
Im Jahr 2006 kam es zu einem Tribute-Auftritt mit verschiedenen Stars bei den Grammy Awards. Es sollte Slys erster Auftritt seit 1987 werden und die Sorge hielt sich bis zum Schluss, ob er überhaupt erscheinen würde. Ein Staraufgebot allererster Güte präsentierte die folgenden Hits: Nile Rodgers, Joss Stone, Van Hunt und John Legend “Family Affair”, Fantasia Barrino und Devin Lima “If You Want Me to Stay”, Maroon 5 Frontmann Adam Levine und Ciara “Everyday People” und will.i.am “Dance To The Music”.
Als Steven Tyler und Joe Perry von Aerosmith mit Robert Randolph “I Want To Take You Higher” performten, stießen in der Mitte des Songs die Bandmitglieder von Sly & The Family Stone – ohne Larry Graham – dazu und Steven rief “Hey, Sly! Let’s do it the way we used to do it!” Und da betrat Sly Stone die Bühne, mit blondem Irokesenschnitt, Sonnenbrille und glitzerndem Silberanzug. Es wurde ein ungefähr drei Minuten dauernder, glanzvoller Auftritt, danach verabschiedete er sich mit einem kurzen Gruß und verschwand von der Bühne.
Generationsübergreifender Einfluss
In fast jede Zelle der musikalischen Stratosphäre ist die DNA von Sly & The Family Stone eingedrungen. Nach seinen Auftritten genoß Jimi Hendrix die Musik der Band in seinem Hotelzimmer. Jazzlegende Miles Davis war derart beeindruckt von dem Song “In Time”, dass er seiner Band den Titel 30 Minuten lang immer wieder vorspielte.
Michael Jackson liebte es Prince alte Sly & The Family Stone-Aufnahmen zu schicken. Zu Prince selbst und Sly hat Chaka Khan in einem Billboard-Interview eine nette Anekdote beigesteuert: Als Prince Chaka Khan ins Electric Ladyland Studio locken wollte, gab er sich am Telefon mit verstellter Stimme als Sly Stone aus, da er wusste, dass die Sängerin Verehrerin und Freundin der Ikone war. Als Chaka Khan das Studio betrat, sah sie nur den schmalen kleinen Kerl mit Gitarre. Sie fragte, wo Sly Stone sei. Darauf Prince: “Hi, I’m Prince, I called you”. Chaka Khan: “I was very pissed” – so nahm eine jahrelange, erfolgreiche Zusammenarbeit ihren Anfang. Sly Stones immenser Einfluss auf Prince ist mehrfach dokumentiert – die Bandkonstellation, die Shows, sein “Sound Spelling”, auch baute er bei Konzerten gerne Coverversionen der Band ein.
Man spürt den Einfluss bei den unterschiedlichsten Interpreten und Genres aller Generationen – von Herbie Hancock hinein in die Ruhmeshalle von Motown weiter zu George Clintons P-Funk. Sie hat ihre Spuren bei Bob Marley hinterlassen und weder die Isley Brothers noch Lenny Krevitz, Jamiroquai, Public Enemy, Red Hot Chili Peppers, Arrested Development, die Black Eyed Peas, The Roots oder OutKast können ihre Wirkung leugnen. Samples von Sly & The Family Stone Songs finden sich bei Primal Scream, Fatboy Slim, Beck, Snoop Dogg, Cypress Hill, LL Cool J, A Tribe Called Quest, Mobb Deep, Ice Cube, RZA, Janet Jackson, Madonna und und und…
Zurecht fanden Sly & The Family Stone 1993 in der Rock And Roll Hall Of Fame ihren Platz und wurde im Februar 2017 Sly Stone der Grammy Lifetime Achievement Award zuteil. Auch wenn es nicht viele mitbekommen haben – wir feiern Sly und seine Family und sagen THANK YOU!
Hier eine Auswahl der Alben von Sly & The Family Stone, die man gehört haben muss:
Sly And The Family Stone “Live At The Fillmore East October 4th & 5th, 1968”
Sly und seine Crew waren Ende der 60er und Anfang der 70er eine der gefragtesten Livebands überhaupt! Dieses Album katapultiert den Hörer in die Zeit der großen Musik – wer hier seine Füße still hält, dem ist nicht zu helfen…
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Sly & The Family Stone “Original Album Classics”
Diese grandiose Werkschau enthält die ersten fünf Alben A WHOLE NEW THING, DANCE TO THE MUSIC, LIFE, STAND!, THERE’S A RIOT GOING ON. Gerade die letztgenannten zwei gehören für viele Fans zu den besten Rock/Funk Alben überhaupt.
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Sly & The Family Stone “The Woodstock Experience”
Sly Stone und seine Familie haben die Massen beim legendären Hippiefestival elektrisiert – kaum eine andere Band wurde so gefeiert! Ihr Auftritt gilt als einer der besten und das trotz namhafter Konkurrenz! Verdientermaßen hat sich Sly Stone hier unsterblich gemacht und einen festen Meilenstein der Musikgeschichte geschaffen!
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