Jul
9
2014

60 Jahre Rock’n’Roll: Wer hat’s erfunden?

Wer hats erfunden

Die Geschichte des Rock’n’Roll ist verwirrend. Denn einerseits begann die moderne Popmusik tatsächlich mit den frühen Elvis-Hits, andererseits waren die Quellen, aus denen er und seine Musiker schöpften, längst bekannt. Legacy-Club-Autor Ernst Hofacker (Buch: Von Edison bis Elvis) klärt auf.

von Ernst Hofacker
(www.ernsthofacker.de)

Es ist ein bisschen wie die Sache mit der Henne und dem Ei – was war eher: Elvis, mit dem der Rock’n’Roll begann, oder die Musik, die es lange schon gab, bevor der King auftauchte? Den Rock’n’Roll erschaffen hat der ehemalige Lastwagenfahrer aus Memphis, Tennessee, sicher nicht. Wohl aber, um im Bild zu bleiben, war der gerade 19-jährige Sänger, der im Juli 1954, also vor genau 60 Jahren, in den Sun Studios seine ersten Aufnahmen machte, so etwas wie die Henne. Auch wenn er das Ei nicht gelegt hat: Elvis hat es gleichsam gefunden, sich drauf gesetzt und auf diese Weise das ausgebrütet, was man von nun an Rock’n’Roll nennen würde.

Die Vorreiter heißen Haley, Perkins & Berry

Musikhistorisch allerdings stellen sich die Dinge differenzierter dar, und Schlüsselfiguren des frühen Rock’n’Roll/Rockabilly wie Bill Haley, Carl Perkins und Chuck Berry geben deutlich mehr Aufschluss über die Entstehung dieses musikalischen Hybriden aus schwarzem Rhythm’n’Blues und weißem Country & Western. Haley beispielsweise, der ursprünglich vom Western Swing der 1940er Jahre kam, dokterte bereits seit den frühen 1950er Jahren an seiner „Rock Around The Clock“-Formel herum. Die frühen Hits des Mannes mit der Schmalztolle, etwa „Rock The Joint“ (1952) und „Crazy Man, Crazy“ (1953), nehmen bereits wichtige Stilelemente des klassischen Rock’n’Roll vorweg.

Carl Perkins wiederum, drei Jahre älter als Elvis, hatte seinen Country & Western-Stil bereits in den frühen 1950er Jahren mit Blueselementen und nicht zuletzt dem damals in diesem Musikstil kaum gebräuchlichen Schlagzeug angereichert – Prozesse, die direkt zum Rockabilly á la „Blue Suede Shoes“ führten. Und nicht zuletzt Chuck Berry: Sein klassischer Gitarrenrock schöpfte gleichermaßen aus dem Jive von Louis Jordan, Muddy Waters’ elektrischem Blues und dem Western Swing von Bob Wills. Das berühmte Gitarrenintro von „Johnny B. Goode“ zum Beispiel ist eine Eins-zu-eins-Kopie der von Carl Hogan gespielten Einleitung zu Louis Jordans „Ain’t That Just Like A Woman“ von 1946. Woraus Chuck Berry übrigens nie einen Hehl machte.

Elvis macht Rock’n’Roll weltweit relevant

Lange bevor Elvis auftauchte, experimentierten nicht nur die hier genannten Männer mit verschiedenen Stilelementen (die jedermann zugänglich waren, schließlich kennen Airwaves keine Rassentrennung). Musiker tauschen sich aus, knüpfen am Bekannten an. Oder wie Chuck Berry einmal sagte: „Ain’t nothing new under the sun!“ Da machte auch der Junge aus Memphis, der 1954 wie aus dem Nichts auftauchte, keine Ausnahme.

Und doch steht Elvis für einen Anfang. Wenn man den Begriff des Rock’n’Roll über seine rein musikalische Definition hinaus fasst, also den rebellischen Gestus, den Lifestyle-Impetus und den Glamour-Faktor miteinbezieht, dann lässt sich guten Gewissens behaupten: Elvis war der Erste, der all das als überlebensgroße Gallionsfigur der Teenage Rebellion und des großen Aufbruchs in die Popkultur bündelte. Denn neben seiner überbordenden Musikalität hatte er, was all denen fehlte, die ähnliche Musik machten: Star-Appeal – und der ist unverzichtbar für echten Pop.

Spurensuche: 10 Vorläufer des Rock’n’Roll

1. Rockin’ Rollin’ Mama – Buddy Jones (1939)
2. Rock Me Mamma – Arthur Crudup (1944)
3. Strange Things Happening Every Day – Sister Rosetta Tharpe (1944)
4. Ain’t That Just Like A Woman – Louis Jordan & His Timpany Five (1946)
5. Good Rockin’ Tonight – Wynonie Harris (1949)
6. Rock This Joint – Jimmy Preston (1949)
7. Rocket 88 – Jackie Brenston (1951)
8. Sixty Minute Man – The Dominoes (1951)
9. Hound Dog – Big Mama Thornton (1952)
10. Shake, Rattle & Roll – Big Joe Turner (1954)

► Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag 60 Jahre Rock’n’Roll: Die wilden 60er

ND90653_1Legacy-Empfehlung:
Arthur Crudup – That’s All Right Mama

Der Song, den Elvis am 5. Juli 1954 aufnahm und der die Ära des Rock’n’Roll einläutete, war ein Cover: „That’s All Right“ stammt von Arthur Crudup, dessen Songsammlung eindrucksvoll zeigt, wie die Zutaten des Rock’n’Roll vor Elvis klangen und warum der King von jener Musik so angezogen wurde.