Oct
11
2016

Bruce Springsteen: Das Geheimnis von “Born To Run”

Bruce Springsteen with E Band

Bruce Springsteen hat viele großartige Songs geschrieben – der bedeutendste für ihn selbst aber ist zweifellos “Born To Run”. In seiner soeben erschienenen Autobiografie gibt er nun Aufschluss über die Entstehung des Songs und verrät, was er sich dabei dachte.

Text: Ernst Hofacker

Auf dem begleitend zu seiner Autobiografie “Born To Run” veröffentlichten Karriererückblick CHAPTER AND VERSE ist der gleichnamige Song an achter Stelle zu hören. Im Tracklisting der 18 Songs stellt er damit eine Wasserscheide dar: Die sieben Tracks davor dokumentieren Bruce Springsteens langen Weg von den Anfängen in einer Highschool-Band bis in die Belle Etage des Musikgeschäfts, die danach begleiten ihn durch seine einzigartige Karriere als “Boss” der E Street Band und internationalen Rockstar. “Born To Run” war der Schlüsselsong in dieser Entwicklung, danach war nichts mehr wie zuvor.

Alles oder nichts

In seiner Autobiografie schildert Springsteen nun die Entstehung des Songs und die Motive, die ihn dazu brachten, eine musikalische Kehrtwende zu vollziehen. Bis dahin hatte er zwei Alben produziert, die jedoch beide gefloppt waren. GREETINGS FROM ASBURY PARK (1973) war ein reines Singer/Songwriter-Album, auf THE WILD, THE INNOCENT & THE E STREET SHUFFLE (1973) hatte er die Musik üppiger arrangiert, aber die Mehrheit der Song war länger als sieben Minuten und manches überladen geraten. Als er sich danach an sein drittes Album machte, wusste er, dass es nun um Alles oder Nichts ging – ein dritter Flop hätte Springsteens hoffnungsvolle Karriere wohl für immer beendet, ihn auf jeden Fall aber seinen Vertrag mit Columbia Records gekostet. Er brauchte einen Hit, und er brauchte einen unwiderstehlichen, kompakten Sound.

Bruce Springsteen auf Motorrad

Foto: Annie Leibovitz

“Dieser eine glorreiche Sound…”

Der Titeltrack von BORN TO RUN (1975) schrieb Bruce Springsteen auf dem Bett eines kleinen Mietbungalows in 7 ½ West End Court in West Long Branch, New Jersey. In dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit den Rock’n’Roll-Platten seiner Kindheit, vor allem mit den Singles von Duane Eddy, Roy Orbison und Phil Spector. Er versuchte, deren Geheimnis zu entschlüsseln. O-Ton Springsteen: “Diese Platten sprachen wesentlich mehr zu mir als die Rockmusik der späten Sechziger und frühen Siebziger: Liebe, Arbeit, Sex und Spaß.” Der Songwriter war fasziniert von der Einfachheit der Musik, ihrer Kraft und ihrer Leidenschaft: “Diese Art von Ästhetik sprach mich im frühen Stadium der Arbeit an ‘Born To Run’ sehr an. Von Duane Eddy übernahm ich den Gitarrensound, ‘tramps like us …’, dann ba-BA … BA-ba, das harte Gitarrenlick. Von Roy Orbison kam der volltönende, runde, fast opernhafte Klang der Stimme; zumindest versuchte ich, mit meinem beschränkten Stimmumfang mein großes Vorbild nachzuahmen. Von Phil Spector schaute ich mir den Ehrgeiz ab, einen Sound zu erzeugen, der die Welt in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Ich wollte ein Album schaffen, das sich anhörte wie das ultimative Album der Menschheit: das Album, das man sich kurz vor dem Untergang anhörte … anhören MUSSTE. Dieser eine glorreiche Sound … dann die Apokalypse.” Und im Text wollte er “klassische Rock’n’Roll-Bilder verwenden: die Straße, das Auto, das Mädchen.” Als “Born To Run” am 25. August 1975 als Single veröffentlicht wurde, war es all das und noch mehr geworden.

Der Rest ist Geschichte. Das Stück wurde zum Signature-Song und ebnete ihm nicht nur den Weg in die Champions League der Rockszene, es festigte darüberhinaus auch den künstlerischen Kurs des damals 26-Jährigen: Bruce Springsteen hatte seine Stimme gefunden.

Bruce Springsteen Chapter and Verse CoverCHAPTER AND VERSE (Columbia/Sony Music) ist als CD, Doppel-Vinyl und als Download erhältlich. Das Booklet enthält Songtexte und seltene Fotos.