WAECHTER-BLOG: OST-BERLIN, EIN MEKKA DES FUNK?
Auch auf dem zweiten Teil der Funky Fräuleins-Reihe zeigen Sängerinnen wie Hildegard Knef, Su Kramer und Caterina Valente ihre groovig-soulige Seite. Die Überraschung dabei: Der trockenste Funk kam in den Siebzigern anscheinend aus der DDR.
Von Johannes Waechter
Im Sommer 2009 erschien bei Bureau B ein Sampler namens Funky Fräuleins, der Sängerinnen wie Vicky Leandros, Heidi Brühl, Hildegard Knef und Caterina Valente ungewohnt groovig präsentierte. Damals führte ich sogar ein Interview mit Thomas Worthmann, der den Sampler zusammengestellt hatte.
Nun ist die Fortsetzung herausgekommen: Funky Fräuleins, Vol. 2 (Große Freiheit/Bureau B). Optisch hat man sich nicht viel einfallen lassen, sondern einfach nur das Cover des ersten Albums leicht modifiziert. Inhaltlich gibt es ebenfalls Überschneidungen: Su Kramer, Heidelinde Weis, Hildegard Knef, Peggy March und Caterina Valente sind auch diesmal wieder dabei, wie beim ersten Sampler.
Bezeichnender als die Ähnlichkeiten sind aber die Unterschiede. Während beim ersten Sampler ein Schwerpunkt auf österreichischen Sängerinnen lag, hat man man für Funky Fräuleins, Vol. 2 einige sensationelle Stücke aus der DDR ausgegraben. Denn merke: Auch in Ost-Berlin versuchte man sich gelegentlich an der deutschen Ausdeutung von Soul und Funk.
Nehmen wir nur dieses irre Stück von Angelika Mann, einer bis heute populären Schauspielerin und Kabarettistin. Anfang der Achtziger nahm Mann einige Platten mit der Rockband Obelisk auf (die sie bei “Kutte” gelegentlich etwas übertönen.) Ich bin selbst Berliner, muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich bislang nicht realisiert hatte, wie hervorragend der Berliner Dialekt zu trockener Funkmusik passt. In der DDR war man da vor dreißig Jahren anscheinend schon schlauer.
Mit Veronika Fischer und Uschi Brüning sind zwei weitere Sängerinnen aus der DDR dabei. Auch deren Stücke sind überraschend funky. Fischers “He, wir fahr’n mit dem Zug” beginnt mit einem jener Drumbreaks, nach dem sich Leute wie RZA oder DJ Shadow die Finger lecken, und steigert sich dann zu einer sehnsüchtigen, mit einem eleganten E-Piano verzierten Hymne auf die Reisefreiheit, in der sogar die Speisewagen der Mitropa und das widerborstige Klopapier der Reichsbahn Erwähnung finden. Brünings “Hochzeitsnacht” klingt hingegen wie von Barry White produziert: sinnlich, verführerisch und ein wenig anzüglich – große Klasse!
Der erstaunlichste Song auf dem Sampler ist aber der “Arbeitslosen-Blues” von Fasia, einer mir bis dato unbekannten Sängerin. Fasia Jansen, geboren 1929, war eine Liedermacherin und Friedensaktivistin, die von den Nazis wegen ihrer dunklen Hautfarbe verfolgt wurde und bereits in den Fünfzigern eine prägende Figur bei den Ostermärschen war. 1976 nahm sie für das linke Label Pläne die LP Portrait auf, dort findet sich der “Arbeitslosen-Blues”, der unter anderem durch folgende Zeilen besticht: “Unternehmerhäuptling Schleyer der Erpresser / Schleyer macht die Bude für die Stifte zu / Hey Jungs, lasst euch das jetzt nicht mehr gefallen / Jungs, lasst den Millionären keine Ruh’/ Lehrstellen her! Lehrstellen her!” Schade, dass es solche Songs heute nicht mehr gibt.
Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future.”.