Billie Holiday: Hommage zum 100. Geburtstag!
Am 7. April 2015 wäre sie 100 Jahre alt geworden: Billie Holiday wurde als Tochter einer Prostituierten geboren, lebte in der Halbwelt der Bordelle New Yorks, starb an Alkoholmissbrauch – und gilt als bedeutendste Jazzsängerin aller Zeiten sowie eine der einflussreichsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. In welchen Sängerinnen lebt Billie weiter?
Text: Ernst Hofacker
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Sie nannten sie „Lady Day“, und eine weiße Geranie, die sie sich ins Haar steckte, war ihr Markenzeichen: Billie Holiday (1915-1959) ist eine der ganz großen Figuren der amerikanischen Unterhaltungsmusik des letzten Jahrhunderts. Wie keine andere Künstlerin hat sie den Jazzgesang geprägt, und einige von ihren Aufnahmen, etwa das legendäre „Strange Fruit“, „Lover Man“ und „I Loves You, Porgy“, gehören zum wichtigsten Kulturerbe des vergangenen Jahrhunderts.
Wie Phoenix aus der Ghetto-Halbwelt
Dabei waren die Startbedingungen der Eleanora Fagan, wie sie bürgerlich hieß, miserabel: Aufgewachsen abwechselnd bei ihrer Mutter, einer Prostituierten, und deren Halbschwester, landet Holiday mit elf Jahren in einem Erziehungsheim, bevor sie als 14-Jährige mit ihrer Mutter nach New York geht, wo sie mit der Halbwelt der Bordelle und illegalen Clubs Bekanntschaft macht. 1933, da ist Billie gerade 18, wendet sich das Blatt. Auf der Bühne eines Clubs in Harlem wird die über die Maßen talentierte Sängerin vom Talentscout John Hammond entdeckt. Er vermittelt sie an seinen zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Schwager Benny Goodman, später ebenfalls eine Jazzlegende, und organisiert erste Aufnahmesessions.
Der Rest ist Geschichte. Im Laufe der kommenden Jahre lässt Holiday mit ihrem ungewöhnlichen Rhythmusgefühl und ihrer Fähigkeit aufhorchen, auch aus vermeintlich wenig interessantem Songmaterial das Äußerste herauszuholen. Als sie ab 1939 auch mit namhaften Orchestern zusammenarbeitet, hat sie längst einen ganz eigenen Stil entwickelt, der nun den Gesang auch im Mainstream revolutionieren wird. Mit Billie Holiday wird der Interpret erstmals wichtiger als der Song selbst, in den 1940er-Jahren mausert sich das Mädchen aus dem Ghetto von Philadelphia zum nationalen Star.
Leben und Sterben wie ein Rockstar
Der Preis, den sie für ihre Kunst zahlen muss, ist jedoch hoch. Immer wieder muss die afroamerikanische Sängerin die zynischen Schikanen des allgegenwärtigen Rassismus in den USA über sich ergehen lassen. Hinzu kommt, dass sie ihr Privatleben zeitlebens nicht in Griff bekommt. Liebesbeziehungen scheitern, und Alkohol, Marihuana, bald auch Heroin, sind ihre ständigen Begleiter. Tiefpunkt: 1947 muss Holiday wegen Drogenbesitzes für mehrere Monate ins Gefängnis. In den 1950er-Jahren gelingt es ihr noch einmal, mit Produktionen wie dem großartigen Columbia-Album „Lady In Satin“ und ihrer Autobiographie „Lady Sings The Blues“ für Aufmerksamkeit zu sorgen. Ihr geschwächter und ausgemergelter Körper aber kann nicht mehr. Am 17. Juli 1959 stirbt Billie Holiday in einem New Yorker Hospital an den Folgen ihres Alkoholmissbrauchs.
Zeitlose Inspiration
Ihre Musik aber bleibt. Generationen von Sängern und Sängerinnen haben im Laufe der Jahrzehnte bei Holidays Kunst angeknüpft. Und Männer wie Frank Sinatra haben sie als eine der bedeutendsten Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts gewürdigt: „Billie Holiday war und ist der größte musikalische Einfluss in meinem Leben!“
Eine der aktuell bekanntesten und respektiertesten Erbinnen von Billie Holiday ist die US-Sängerin Cassandra Wilson. Unter dem Titel „Coming Forth By Day“ bietet sie ein Album mit Songs von Billie Holiday.
ALBUMTIPPS
Billie Holiday und ihre wichtigsten Erbinnen:
Billie Holiday: „Lady Day – The Master Takes And Singles“ (2015)
In diesem großartigen, 4 CDs umfassenden Boxset lassen sich sämtliche Facetten der einflußreichen Jazzlegende genießen. Zu allen 80 Titeln wurden zudem die Hintergrundstories liebevoll und detailliert zusammengestellt. Eine wunderschöne Werkschau und zugleich ein würdiges Denkmal für die große Billie Holiday.
Billie Holiday: The Centennial Collection (2015)
„ … ich improvisiere mit meiner Stimme wie auf einem Instrument […] und lasse meinen Gefühlen freien Lauf“: In ihren wohl 20 wichtigsten Aufnahmen aus den Jahren 1935 bis 1945, die auf der „The Centennial Collection“ zu entdecken sind, lässt sich dies wunderbar nachhören.
Billie Holiday „Lady In Satin – The Centennial Edition“ (2015)
„Lady In Satin“ aus dem Jahr 1958 gilt als ihr wichtigstes Werk: Diese 3er-Box enthält das Album komplett neu remixed und remastered. CD2 und CD3 bieten erstmals die kompletten „Lady In Satin“-Sessions. Ein Juwel für alle Fans.
Cassandra Wilson: „Coming Forth By Day“ (2015)
Die zweifache Grammy-Preisträgerin gilt als eine der versiertesten US-Sängerinnen im Grenzbereich zwischen Jazz, Fusion und Soul. Hier verbeugt sie sich mit Respekt vor ihrem Idol. Unbedingt hörenswert! MEHR LESEN
Rebecca Ferguson: „Lady Sings The Blues“ (2015)
Zeitgemäße Interpretationen von Holiday-Songs wie „Lover Man“ und „Summertime“ sowie weiteren Jazzklassikern, die Rebecca Ferguson als eines der bemerkenswertesten Gesangstalente Großbritanniens ausweisen.
Sarah Vaughan: „Jazz Profiles“ (Compilation, 2007)
Sie tauchte nur wenige Jahre nach Holiday im Rampenlicht auf und zeigte sich von deren Gesangsstil ebenso beeinflusst wie so viele andere. „Jazz Profiles“ fasst einige der schönsten Aufnahmen von Sarah Vaughan (1924-1990) zusammen.
Lena Horne: „Stormy Weather“ (1957)
Wie viel Lena Horne (1917-2010) ihrer Zeitgenossin Billie Holiday verdankte, offenbarte sie auf ihrem grandiosen Album „Stormy Weather“, das sie nach dem gleichnamigen Holiday-Klassiker benannte.
Nina Simone: „Sings The Blues“ (1967)
Nina Simone (1933-2003) war eine der Legionen von Sängerinnen, die sich in ihrer Jugend vor allem an Billie Holidays Gesangsstil orientiert hatten. Als sie 1967 ihre Zusammenarbeit mit RCA mit dieser überraschend rauen und intensiven Sammlung alter Bluessongs begann, wurde das einmal mehr offensichtlich.
Aretha Franklin: „Unforgettable: A Tribute To Dinah Washington“ (1964)
Zwar singt die junge Aretha Franklin hier vornehmlich Songs von Dinah Washington (1924-1963), dennoch zeigt gerade dieses Album den enormen Einfluss von Holiday, die nicht nur Washingtons Stil entscheidend prägte, sondern damit auch den von Franklin.
Janis Joplin: „I Got Dem Ol’ Kozmic Blues Again Mama!“ (1968)
Kaum eine Sängerin der Rockgeneration sah sich so sehr in der Tradition von Bessie Smith und Billie Holiday wie Janis. Auf ihrem Solodebüt verbeugte sie sich vor Holidays Ära mit dem Broadway-Klassiker „Little Girl Blue“.
Macy Gray: „On How Life Is“ (1999)
Die Sängerin aus Canton, Ohio, gehört zur Post-HipHop-Generation, die ihre Lektionen bei Tina Turner und Aretha Franklin ebenso gelernt haben wie unüberhörbar auch bei Billie Holiday. Grays großartiges Debütalbum von 1999 demonstrierte das nachhaltig.