Dec
19
2011

MAYER HAWTHORNE IM INTERVIEW: “VERÄNDERUNG IST IMMER GUT”

MayerHawthorne

Mit Falsettgesang und sinnlichem Schlafzimmer-Soul wurde Mayer Hawthorne zum Inbegriff des hippen Soulsängers. Nun kommt sein zweites Album How Do You Do heraus, im Interview spricht er über seine umfangreiche Plattensammlung, die Begegnung mit legendären Vorbildern und den Musiker, mit dem er unbedingt einmal zusammenspielen möchte.

Von Johannes Waechter

Lange mussten Soulfans befürchten, dass ihre Lieblingsmusik irgendwann aussterben würde. Doch in den vergangenen Jahren haben gar nicht so wenige Künstler Wege gefunden, den Soul der Vergangenheit auf intelligente und mitreißende Art in die Gegenwart zu holen; Leute wie Aloe Blacc, Sharon Jones, Eli “Paperboy” Reed und Mayer Hawthorne. Hawthorne, 32, ist ein etwas unscheinbarer Typ aus Ann Arbor, Michigan, der vor zwei Jahren das ziemlich spektakuläre Debütalbum A Strange Arrangement (Stones Throw) veröffentlichte, auf dem vor allem sein stilsicherer Falsettgesang herausstach. In der Folge wurde er von Rappern wie Snoop Dogg und Jay-Z protegiert, im Oktober ist sein ebenfalls sehr gelungenes Album How Do You Do (Universal) erschienen. Heute abend tritt er in der Harald-Schmidt-Show auf, ich hatte kürzlich Gelegenheit, mit ihm zu telefonieren.

Mayer Hawthorne, bevor wir über Ihr neues Album reden, habe ich ein paar Fragen zu Ihrer Plattensammlung.

Prima. Darüber kann ich tagelang reden.

Haben Sie kürzlich eine Platte gefunden, über die Sie sich besonders gefreut haben?

Allerdings. Ich war gerade in New York und habe dort tatsächlich eine Single aufgetrieben, die ich schon lange gesucht habe: “Ain’t Gonna Run No More” von den Mighty Lovers. Der Song wurde von Popcorn Wylie produziert und ist bei Soulhawk erschienen, einem kleinen Label in Detroit, das im Schatten von Motown stand. Die Band ist dieselbe wie auch auf “Maybe So Maybe No” von den New Holidays. Das Teil ist ein absoluter Hammer.

War bestimmt ziemlich teuer.

Ja, klar. Den genauen Preis verrate ich lieber nicht. Aber so eine Platte sieht man in der Regel nur einmal im Leben, da muss man zuschlagen. In solchen Fällen befolge ich stets den Rat, den mir mal ein Plattenhändler gegeben hat: Geld wird es auch noch in dreißig Jahren geben, aber gute Platten gibt es irgendwann keine mehr.

Wie viele Platten haben Sie denn?

Jede Menge. Bei mir zuhause ist alles voller Platten.

Geordnet oder durcheinander?

Meine Sammlung ist ziemlich gut geordnet. Es macht mir einfach Spaß, mich damit zu beschäftigen. Ein perfekter Sonntag sieht für mich so aus, dass ich den ganzen Tag Platten höre und jene, die rumstehen, in die Sammlung einsortiere.

Was erwidern Sie, wenn jemand sagt, dass es bescheuert sei, soviel Geld und Zeit in dieses alte Zeug zu stecken.

Alles, jede Art von Musik, klingt nun mal besser auf Vinyl als auf CD. Ich habe vor, meine Platten irgendwann meinen Kindern zu vererben, so wie ich selbst die Platten meiner Eltern bekommen habe. Außerdem ist es eine Tatsache, dass wahnsinnig viel Musik überhaupt nicht anders erhältlich ist als auf Schallplatte. Es heißt immer, es gebe alles auf CD oder im Internet, aber das stimmt einfach nicht: Da draußen gibt es ungelogen Millionen von Platten, die niemand digitalisiert hat.

Wenn Sie als DJ arbeiten, spielen Sie dann auch Ihre kostbaren Raritäten?

Unbedingt! Schallplatten sind da, um gespielt zu werden – egal, wie selten sie sein mögen. Die Raritäten müsste ich eigentlich sogar besonders oft spielen, damit sich der hohe Preis rentiert.

Ich nehme an, dass Sie in erster Linie Sechzigersoul spielen?

Nein, eigentlich nicht. Ich spiele auch viel Prince oder Rick James. Überhaupt viel Zeug aus den frühen Achtzigern – das war eine ganz starke musikalische Periode.

Trotz des Aufkommens von gruseligen Synthie-Sounds und digitaler Aufnahmetechnik?

Veränderung ist immer gut. Ich mag Northern Soul und Sweet Soul, aber ich möchte mich als DJ nicht darauf beschränken. Das gilt auch für meine eigene Musik. Ich will auf keinen Fall nur Retrosoul machen, der irgendwie die Sechziger kopiert. Ich höre auch Rock, Heavy Metal, brasilianische Musik, alles mögliche – das alles fließt in meine Musik ein.

Ich finde es sehr beeindruckend, dass Sie fast alle Instrumente selbst spielen. Wo haben Sie das gelernt?

Mein Vater hat mir Bass beigebracht, als ich noch ziemlich klein war. Ich wollte damals auch unbedingt Schlagzeug lernen, aber meine Eltern haben mir keins gekauft – sie fanden, das wäre in unserem Haus zu laut gewesen. Ich bin dann immer zu Freunden gegangen, um Schlagzeug zu üben. Mein Vater spielt selbst in einer Band, ich bin später oft zu den Proben mitgekommen und habe gehofft, dass einer der Typen nicht kann, damit ich sein Instrument spielen kann. Ich habe dann auch alle möglichen eigenen Bands gehabt – so habe ich gelernt, viele Instrumente zu spielen. Aber das einzige Instrument, auf dem ich ganz gut bin, ist sicherlich der Bass.

Tatsächlich finde ich die Basslinien auf Ihrem Album ganz toll: sehr einfallsreich, sehr warm und funky. Wer sind da Ihre Vorbilder?

Natürlich James Jamerson, aber auch Larry Graham und Bootsy Collins. Und Flea von den Red Hot Chili Peppers. Und natürlich meinen Vater. Erst kürzlich haben wir wieder zusammengespielt, anlässlich eines Football-Spiels zwischen den Detroit Lions und den Green Bay Packers. In der Halbzeitpause haben wir in unserem Keller ein Konzert gegeben, das live im Fernsehen übertragen wurde. Das war cool.

Die letzten zwei Jahre waren ziemlich intensiv, oder?

Ja, ich kneife mich immer noch jeden Tag, um mich zu vergewissern, dass alles wirklich passiert.

Was gefällt Ihnen am Erfolg am besten, was am schlechtesten?

Das beste ist einfach die Tatsache, dass ich jetzt professioneller Musiker bin. Ich fahre um die Welt und spiele meine Musik, das finde ich immer noch bemerkenswert. Wir werden bald in Südamerika auf Tour gehen, danach überall in Europa, dann in den USA. Am wenigsten gefällt mir, dass ich nur noch wenig Zeit für Freunde und Familie habe.

Haben Sie inzwischen einige Ihrer Vorbilder getroffen?

Ja, zum Beispiel Smokey Robinson. Bei einem Konzert in Austin habe ich in seinem Vorprogramm gespielt. Irre, wie jung er noch ist. Er tanzt dieselben Tanzschritte wie seine Tänzerinnen. Ich habe mich vor einiger Zeit auch kurz mit Lamont Dozier unterhalten. Und mit Dennis Coffey von den Funk Brothers, der spielt ja auch auf meiner Platte mit. Ich habe mir von ihm viele Geschichten von früher erzählen lassen, wie Musiker wie Earl Van Dyke, Pistol Allen, Benny Benjamin die alten Platten aufgenommen haben.

Sie kommen aus der Nähe von Detroit – ich nehme an, Sie waren schon oft im Motown Museum.

Mann, ich könnte dort als Tourguide arbeiten. Das ist so ein magischer Ort.

Neben Dennis Coffey ist auch Snoop Dogg auf Ihrer Platte dabei. Man weiß von ihm, dass er ein großer Kiffer ist. Können Sie das bestätigen?

Das ist nicht zu übersehen. Er hört eigentlich niemals auf, zündet einen nach dem nächsten an. Man sollte nicht versuchen, mit ihm mitzuhalten, das wäre fatal.

Wenn Sie sich einen Musiker aussuchen könnten, mit dem Sie ein Duett singen dürften, wen würden Sie wählen?

Prince. Ich liebe seine Musik. Das wäre toll.

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Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future”.