Zwei Giganten: Bob Dylan als Gast in der Johnny Cash TV Show
Was für eine Sensation für das amerikanische Fernsehpublikum am 7. Juni 1969: Zum Auftakt der JOHNNY CASH TV SHOW trat kein geringerer als Bob Dylan auf und performte drei Titel. In Zeiten, in denen Amerika von vielen Konflikten zerrüttet war, setzte Johnny Cash mit dieser Entscheidung ein klares Zeichen, wie seine Show aussehen wird – denn die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite Countrylegende Cash als vermeintlicher Vertreter der traditionellen Musikkultur und auf der anderen die junge Singer-Songwriter-Ikone Dylan, Synonym einer allumfassenden Gegenbewegung. Doch sie waren auf einzigartige Weise Seelenverwandte, sie inspirierten sich gegenseitig und bis zum Tod von Cash verband sie ein feines Band der Freundschaft, verwurzelt in ihrem tiefen Musikverständnis.
Text: Marlies Meier
Es war einer der seltenen Auftritte Dylans in dieser Zeit. Seit seinem Motorradunfall im Sommer 1966 hatte er sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Sein Erscheinen beim Woodie Guthrie Memorial Concert in der Carnegie Hall lag über ein Jahr zurück. Erst im März 1969 zeigte er sich überraschend in der NET (National Educational Television)-Dokumentation “Johnny Cash: The Man, His World, His Music”, in der sie gemeinsam bei der Aufnahme von Dylans “One Too Many Mornings” zu sehen sind. Dylan mit kurzen Haaren, Dreitagebart, Kaugummi kauend, lachend – und mit ungewohnt tiefer und weicher Stimme, wie sie auf seinem Album NASHVILLE SKYLINE einen Monat später zu hören sein wird.
Es war Cash, der, als es an die Planung für die erste Sendung von THE JOHNNY CASH TV SHOW ging, Bob Dylan unbedingt als ersten Gast haben wollte und den gemeinsamen Musikproduzenten Bob Johnston um Unterstützung für dieses Vorhaben bat. Zu diesem Zeitpunkt hatten die beiden ungleichen Größen Cash und Dylan bereits das Fundament ihrer ungewöhnlichen Freundschaft gelegt.
Wie Cash und Dylan einander fanden
Durch die Annährung Cashs an den Folk und Dylans Ausflug in die Countrygefilde kreuzten sich ihre Wege. In seiner Biografie schrieb Cash: “Ich beschäftige mich sehr intensiv mit der Folkmusik in den frühen 1960ern. Sowohl mit den authentischen Songs aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen Amerikas, als auch mit den Songs des damaligen neuen Folkrevivals. So wurde ich auf Bob Dylan aufmerksam, als 1962 das Album BOB DYLAN erschien und ich hörte 1963 ständig THE FREEWHEELIN‘ BOB DYLAN.”
Er setzte sich bei dem gemeinsamen Plattenlabel Columbia Records für Bob Dylan ein, als dessen erste Platte zunächst wenig Aufmerksamkeit fand, und man überlegte, ob es sich lohne mit ihm weiterzumachen. Es war auch Cash, der dem jungen Dylan eine Art Fanbrief schrieb, aus dem eine umfangreiche Korrespondenz ihren Anfang nahm. Als sie sich 1964 beim Newport Festival trafen, soll Johnny Cash beim anschließenden Musikertreff in Joan Baez’ Hotelzimmer Bob Dylan seine Martin-Gitarre geschenkt haben – unter Country-Musikern höchstes Zeichen des Respekts und der Ehrerbietung.
Auch als Dylan von den Folkpuristen massiv angegangen wurde, nachdem er sich in seinen Songs thematisch von den tagespolitischen Geschehnissen abwandte, nicht mehr den reinen Prostestsänger geben wollte, war es wieder Cash, der sich für Dylan stark machte. Er schrieb einen offenen Brief an das Folk-Magazin BROADSIDE mit der Aufforderung “Haltet die Klappe und lasst ihn singen!”. Cash Brief gab Dylan Selbstvertrauen, wie er später erzählte: “Dieser Brief bedeutete alles für mich. Ich habe die Ausgabe des Magazins bis heute aufgehoben”.
Im Februar 1969 begegneten sich beide in den Columbia-Studios in Nashville wieder, als jeder an seiner neuen Platte arbeitete. Bob Johnston, bekannt als Produzentenlegende von Columbia Records (arbeitete u.a. mit Simon & Garfunkel, Byrds, Leonard Cohen, Marty Robbins, Patti Page), hatte dies nach eigener Aussage heimlich arrangiert. Und tatsächlich folgte darauf eine gemeinsame Session, an der Cash und Dylan enormen Spaß hatten und mehr als ein Dutzend Duette aufnahmen. Leider schaffte es lediglich “Girl From The North Country” als Einstiegssong auf Dylans Album NASHVILLE SKYLINE. Auf der Rückseite des Covers stehen jedoch die berührend poetischen Liner Notes von Johnny Cash, für die er 1970 mit einem Grammy ausgezeichnet wurde. NASHVILLE SKYLINE wurde zu Dylans bis dahin größtem kommerziellen Erfolg und damit ebnete er neben anderen Musikrevolutionären den Weg für die Akzeptanz der bis dato als reaktionär verrufenen Country-Musik.
Von der gegenseitigen Bewunderung des Shootingstars Dylan und der Countrylegende Cash zollen diverse Coversongs. So enthielt das 1965 veröffentlichte Album ORANGE BLOSSOM SPECIAl von Cash die drei Dylan-Songs “It Ain’t Me, Babe” (Duett mit June Carter), “Don’t Think Twice, It’s All Right” und “Mama, You’ve Been On My Mind”. Als Dylan & The Band in West Saugerties nahe Woodstock über 100 Titel aufnahmen, die erst in den letzten Jahren als THE BASEMENT TAPES erschienen, fanden sich unter den Songs auch Cashs “Belshazzar”, “Big River” und “Folsom Prison Blues”.
“I love Bob Dylan, I really do. I love his early work,
I love the first time he plugged in electrically,
I love his christian albums,
I love his other albums.”
Johnny Cash
◊
“Johnny was and is the North Star;
you could guide your ship by him –
the greatest of the greats
then and now.”
Bob Dylan
Bob Dylans Auftritt als Zeichen eines neuen Musikverständnisses
Am 01. Mai 1969 wurde die erste Sendung der JOHNNY CASH TV SHOW im Ryman Auditorium des Grand Ole Opry aufgenommen. Im Publikum saßen Dylans damalige Frau Sara und deren Sohn Jesse sowie natürlich Bob Johnston. Das Publikum selbst setzte sich vor allem aus Cash-Fans zusammen, aber auch zahlreiche Dylan-Jünger waren gekommen, die rechtzeitig davon erfahren hatten – eine bunte Mischung also wie es Cash gewünscht und inszeniert hatte.
Vor Beginn der Aufnahme betrat Cash die Bühne und unterhielt das Publikum mit ein paar Songs, begleitet von den Tennessee Three und Carl Perkins an der Gitarre. Seine Frau June, eine großartige und charmante Entertainerin, gesellte sich hinzu und gemeinsam spielten sie “Jackson”. Anschließend wärmten sich die Jungs von Dylans Band auf; es waren dieselben großen Sessionmusiker, die Dylan bei NASHVILLE SKYLINE unterstützten: Kenny Buttrey, Charley McCoy, Pete Drake, Norman Blake, Charlie Daniels und Bob Wilson.
Als Dylan erschien, empfing ihn warmer Applaus, dennoch wirkte er angespannt, verhalten. Er eröffnete mit “I Threw It All Away”. Ein Raunen ging durchs Publikum, denn Dylan spielte ohne Verstärker und seine Stimme war vor Kenny Buttreys Drums kaum zu hören. Als zweite Nummer folgte “Living The Blues”; für den dritten Song begab sich Dylan zu Cash, der in einer Art Wohnzimmer-Set saß und gemeinsam performten sie “Girl From The North Country”.
https://www.youtube.com/watch?v=g77wH68dFC8
Nach dem ersten Take sagte Cash: “Es ist wirklich schön, so einen großartigen Mann wie Bob Dylan in der Show zu haben.” Anschließend nahmen sie die drei Songs noch einmal mit Verstärker auf. Es ist berührend das Duett zu sehen – Cash und Dylan, mit gelegentlich kurz zugewandten Blicken, Dylan fast schüchtern, und sich am Ende anlächeln. Es war Bob Dylans zurückhaltende Art, mit der er bei dem traditionellen Country-Publikum Symphatien gewann. Er ließ sie spüren, dass er sie und ihr musikalisches Territorium respektierte.
Es folgten noch weitere Gäste an diesem Abend wie Joni Mitchell, Graham Nash und Cajun-Musiker Doug Kershaw sowie natürlich einige Darbietungen von Cash, seiner Frau June. Ein grandioser Auftakt der Show.
Die Erfolgsgeschichte der JOHNNY CASH TV SHOW
“Hello, I’m Johnny Cash” – mit diesen Worten leitete der “Man in Black” fortan jede Show ein, mit der er seinen immensen Beitrag zur Liberalisierung der Musikkultur in Nashville startete. Die Ausstrahlung erfolgte jeden Samstagabend zur besten Sendezeit.
Neben Dylan folgten in der beliebten Fernsehsendung bald so verschiedene Rock- und Popgrößen wie Pete Seeger, Neil Young, Creedence Clearwater Revival, Eric Clapton, Gordon Lightfoot und Linda Ronstadt. Auch Louis Armstrong, Ray Charles, Stevie Wonder, Jerry Lee Lewis, Roy Orbison, Jose Feliciano, Kenny Rogers und natürlich viele Countrystars wie Loretta Lynn, Merle Haggard etc. gaben sich die Ehre sowie noch unbekannte junge Künstler wie Kris Kristofferson und Melanie fanden hier ihre Plattform.
In insgesamt 58 Folgen verstand es Cash eine gelungene Mixtur aus etablierten Showgrößen und Newcomern aus verschiedenen musikalischen und politischen Lagern zu versammeln, ein Musikerlebnis generationenübergreifend für jedermann zu kreieren.
Die Live-Performances dieser Shows stellen einzigartige musikgeschichtliche Zeugnisse aus den 1960er und 1970er Jahre dar, die auf der Doppel-DVD THE JOHNNY CASH TV-SHOW 1969-1971 zu sehen sind. Country-Sänger Kris Kristofferson, der seine Popularität vor allem seinen Auftritten in der Show verdankt, Tennessee Three Bassist Grant Marshall und andere Wegbegleiter Cashs moderieren die einzelnen Sequenzen. Interviews mit Sohn John Carter Cash, Carl Perkins, Hank Williams Jr. u.a. liefern spannende Hintergrundstories. Hier hat Michael B Borofsky, Produzent und Director der DVD, zwei Jahre liebevoller Arbeit geleistet. Vier Stunden Unterhaltung vom Feinsten mit dem Who Is Who einer der spannendesten Zeiten der Musikgeschichte. Sogar auf Vinyl gibt es THE BEST OF THE JOHNNY CASH TV SHOW!
Dylan und Cash verloren nie den Kontakt zueinander, begegneten sich immer wieder, aber so eng, wie in diesen ersten Monaten des Jahres 1969, haben sie bis zu Johnny Cashs Tod 2003 nie wieder gearbeitet.
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