Miles Davis: Atmosphärischer Soundtrack „Miles Ahead“!
In diesem Jahr wäre Miles Davis 90 Jahre alt geworden. Der US-Regisseur Don Cheadle setzt dem legendären Trompeter mit seinem Film „Miles Ahead“ nun ein großartiges Denkmal, das vor allem auch die Musik des Maestros in den Fokus stellt – nachzuhören auf dem soeben erschienenen Soundtrack.
Text: Ernst Hofacker
Es war die wohl schwierigste Phase in der langen Karriere des Miles Dewey Davis III, geboren am 26. Mai 1926 in Alton, Illinois: Ab 1975 zog sich der Mann, der seit fast drei Jahrzehnten die Entwicklung des Jazz dominiert, vorangetrieben und immer wieder im Alleingang revolutioniert hatte, aus der Öffentlichkeit zurück.
Statt umjubelte Konzerte zu geben, verkroch er sich nun, erschöpft und ausgelaugt, für sechs lange Jahre in sein Apartment an der New Yorker Upper West Side, lebte dort wie ein Einsiedler und rutschte immer tiefer in die Abhängigkeit von Kokain und Heroin. Dazu litt er zuneh¬mend unter gesundheitlichen Problemen. Erst 1981 war er soweit wieder-hergestellt, dass er mit „The Man With The Horn“ ein neues Album veröffentlichen und allmählich auch auf die Bühne zurückkehren konnte. Es ist dieser schwierige Lebensabschnitt, in dem wir Miles Davis nun auch auf der Kinoleinwand begegnen: Der amerikanische Schauspieler und Regisseur Don Cheadle siedelte seinen biographischen Spielfilm „Miles Ahead“ nicht etwa in der Zeit von Davis’ großen Erfolgen an, sondern in den späten 1970er-Jahren, als kaum noch jemand auf ein Comeback der Jazzlegende gesetzt hätte:
„Ich liebe diese mangelnde Deckungsgleichheit – sie entspricht Miles’ Idee, das zu spielen, was nicht da ist“, so Cheadle, der im Film auch die Hauptrolle übernahm.
Als Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler in Personalunion inszeniert er sein Thema im Unterschied zu konventionellen Biopics, die ihre Geschichte chronologisch erzählen, als grandiose Meditation. Die Handlung bleibt auf zwei Tage Ende der 1970er-Jahre beschränkt, die aber bilden mit ihrer fiktiven Story den Ausgangspunkt für das komplexe Porträt eines von Dämonen Getriebenen und eröffnen so einen ganz neuen Blick auf die einzigartige Persönlichkeit dieses Jahrhundertkünstlers. Dabei bringt Cheadle die fragile und geheimnisvolle Physis des Maestros genauso auf die Leinwand wie dessen heiser-tonloses, leicht gespenstisches Flüstersprechen. Die eigentliche Größe von „Miles Ahead“ aber besteht darin, dass Cheadle der Versuchung voyeuristischer Perspektiven widersteht und auf das genüssliche Ausleuchten von Drogen- und Sexorgien verzichtet. Dennoch schlägt er keinen Bogen um die Realitäten dieses wilden Lebens und zeichnet Davis als „Gangster, als harter Bursche“ (Cheadle), der er schließlich war. Wobei der Regisseur die einzigartige Musik des Mannes mit dem Horn in keiner Sekunde des Films aus dem Fokus verliert.
Spätestens seit der Premiere des Streifens am 11. Oktober letzten Jahres beim New York Film Festival zeigt sich die US-Kritik denn auch hellauf begeistert. So schrieb A. O. Scott in der „New York Times“: „Wer nach möglichen Oscar-Kandidaten für 2017 sucht, sollte sich den Film unbedingt ansehen!“
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Wer sich für die Musik von Miles Davis interessiert, der ist mit dem Original Soundtrack „Miles Ahead“ bestens bedient. Das Album bietet neben einigen Davis-Klassikern wie dem Titeltrack, dem berühmten „So What“, mit dem das legendäre „Kind Of Blue“-Album 1959 eröffnete, und dem epochalen „Nefertiti“ vom gleichnamigen 1968er-Album auch Highlights aus der elektrischen Phase, darunter „Duran“ und „Go Ahead, John“, die im März 1970 während der Sessions für „Jack Johnson“ entstanden. Zusätzlich zu den elf Davis-Originalen gibt es weitere fünf Aufnahmen zu hören, die der Grammy-prämierte Jazz- und HipHop-Künstler Robert Glasper extra für dieses Projekt einspielte. Dabei arbeitete er mit so unterschiedlichen Kollegen wie dem Gitarristen Gary Clark Jr. sowie Herbie Hancock und Wayne Shorter zusammen, die einst schon mit Davis selbst gespielt haben. Zwischen die einzelnen Tracks des Albums sind kurze Dialog-Ausschnitte von Don Cheadle in der Rolle als Miles Davis montiert – originaler und atmosphärischer könnte ein Filmsoundtrack nicht sein.