Bruce Springsteen: Super Deluxe Boxset von „The River“!
Im Oktober 1980 veröffentlichte Bruce Springsteen mit „The River“ sein erstes Nr.-1-Album. Jetzt gibt es das legendäre Werk als Boxset mit hochwertigen Zugaben, darunter die bislang unveröffentlichte Ursprungsversion des Albums sowie reichlich Outtakes, eine neue Documentary und eine komplette Live-Show vom November 1980.
Text: Ernst Hofacker
Volle 18 Monate dauerte es, und es war ein quälender Prozess: Als am 17. Oktober 1980 mit „The River“ endlich Bruce Springsteens fünftes Studioalbum in den Läden stand, hatte so mancher der daran Beteiligten den „Boss“ bereits mehrfach zum Teufel gewünscht. Aber wie das so ist mit großer Kunst, ihre Geburt verläuft mitunter zäh. „The River“ ist dafür ein Paradebeispiel.
Nach der Veröffentlichung von „Darkness On The Edge Of Town“ hatten Springsteen und die E Street Band ab Mai 1978 sage und schreibe 115 Konzerte gegeben, nicht wenige davon um die vier Stunden lang. Das Finale dieser Mammut-Tournee war am Neujahrstag 1979 in Cleveland, Ohio, über die Bühne gegangen. Danach hatten Boss und Band drei Monate Zeit gehabt, sich auszuruhen und auf das nächste Album vorzubereiten. Im März dann war es soweit, in den New Yorker Power Station Studios begannen die ersten Sessions für „The River“.
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Der Boss will Partysound
Schon die Wahl der Power Station kennzeichnete die Richtung, die Springsteen mit diesem Album einschlagen wollte. Zuvor hatten Max Weinberg (dr), Garry Tallent (b) und Roy Bittan (piano) die monatelange E-Street-Pause genutzt, um in der Power Station mit dem englischen Sänger Ian Hunter (ehem. Mott The Hoople) dessen Soloalbum „You’re Never Alone With A Shizophrenic“ einzuspielen. Anschließend zeigten sich alle drei von den Klangeigenschaften des turnhallengroßen Aufnahmeraums begeistert. Das Studio schien wie geschaffen für den vollen und lebendigen Livesound, der Springsteen vorschwebte. Bei „Darkness On The Edge Of Town“, das im nur wenige Blocks entfernt gelegenen Record Plant Studio entstanden war, hatten er und Co-Produzent/Manager Jon Landau auf einen schweren, düsteren Sound gesetzt, der zur Thematik des Album passte. Nun aber wollte Springsteen auch der leichten, der Partyseite seiner Musik den nötigen Raum geben. Dem US-Journalisten Dave Marsh erklärte er das später so: „Rock’n’Roll war immer diese Freude, dieses bestimmte Glück, das auf seine Weise die schönste Sache der Welt ist. Aber genauso handelt Rock auch von Schwierigkeiten, von Kälte und davon, allein zu sein. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Leben aus diesen Paradoxen besteht, jedenfalls aus vielen davon, und damit muss man leben.“
Kleinbürgerliche Geschichten für große Bühnen
In seinen neuen Songs wollte Springsteen tiefer in die Figuren der „Darkness“-Songs eindringen, die Sorte Typen, die sich ihre Existenz und das kleine Glück des Lebens hart erkämpfen müssen. Er kannte ihre Träume. Es waren dieselben, die schon sein Vater Doug und seine Mutter Adele geträumt hatten. Die Geschichten seiner Songs spielten denn auch in dem kleinbürgerlichen Milieu, dem er selbst entstammte. Es war eine unbarmherzige Welt, in der Frauen sitzen gelassen wurden und Männer ihre schlechtbezahlten Jobs verloren. Zu bieten hatte dieses Leben wenig, höchstens mal ein illegales Autorennen, eine gewonnene Pferdewette, ein neues Kleid oder eine ausgelassene Wochenend-Tanzparty. Springsteen: „Das ist dein Job als Songwriter: Stell dir die Welt und das Leben der anderen genau vor und zeig es in einer Weise, die sie respektiert und ihnen gerecht wird. Davon musst du gewissenhaft und auf deine eigene Weise erzählen.“
Reibereien während der Studioarbeit
Er nahm sich die Songs vor, die es nicht auf „Darkness“ geschafft hatten, zum Beispiel „The Ties That Bind“ und „Ramrod“, und experimentierte so lange mit ihnen herum, bis sie seinen Vorstellungen entsprachen. Wochenlang brütete er über weitere Songideen, ersann und verwarf Instrumentierungen, Arrangements und verschiedenste Textversionen. Musikalisch ließ er sich dabei zunehmend vom Pop seiner Jugend inspirieren, dem Blue-Eyed R’n’B von Frankie Valli, Dion DiMucci und Mitch Ryder. All dies ließ er seine Band dann Dutzende Male spielen, streng, unerbittlich und kaum je zufrieden mit dem Ergebnis. Mehrfach führte sein Perfektionismus zum offenen Krach mit den Musikern, aber auch zu Auseinandersetzungen mit Jon Landau und Steve van Zandt, der als zweiter Co-Produzent fungierte.
Selbst seine Plattenfirma Columbia bekam eine bittere Pille zu schlucken: Ursprünglich war geplant, das neue Album zum Weihnachtsgeschäft 1979 zu veröffentlichen. Als die Songs und ein Tracklisting bereits fertig waren, zog Springsteen das Album jedoch plötzlich und zur Überraschung aller Beteiligten wieder zurück. Begründung: Er habe noch nicht das Gefühl, alles gesagt zu haben, was dieses Werk sagen sollte. Nun sollte es ein Doppelalbum werden, und Columbia-Boss Walter Yetnikoff blieb nichts anderes übrig, als die Entscheidung zu akzeptieren. Für Springsteen war das eine Selbstverständlichkeit. Ein Album betrachtete er als in sich geschlossenes künstlerisches Statement, also widmete er ihm die entsprechende Sorgfalt. Lange und hart genug hatte er auf einen Status hingearbeitet, der es ihm erlaubte, solche Entscheidungen durchzusetzen. Und er wusste: Seine Kundschaft erwartete mehr als ein paar flotte Partynummern, sein Publikum sah in ihm längst nicht mehr nur den gewöhnlichen Entertainer. Für seine Fans war er mit „Born To Run“, „Darkness On The Edge Of Town“ und den exzessiven, geradezu religiösen Rock’n’Roll-Ritualen seiner Konzerte zum Guru, zum Heils¬bringer, zur Identifikationsfigur geworden.
„Hungry Heart“ wird Springsteens erster Top-Ten-Erfolg
Also wurden weitere Songs geschrieben, aufgenommen, verworfen, umarrangiert und wieder neu aufgenommen. Im August 1980 endlich, nach 18 Monaten aufreibender Studioarbeit, war „The River“ fertig. Die vier Plattenseiten enthielten denn auch ein kleines Welttheater des Rock’n’Roll: vitale Kracher wie „Sherry Darling“, „I’m A Rocker“ und „Cadillac Ranch“, die jede Party in Schwung brachten, aber auch majestätische Balladen wie „Independence Day“, „Point Blank“ und „Drive All Night“, feierliche Melodien, nachdenkliche, melancholische, dunkle Momente. Und dazu mit „Hungry Heart“ Springsteens ersten Top-Ten-Hit.
Die Mühe hatte gelohnt: Allein in den wenigen Wochen bis Weihnachten verkaufte „The River“ in den USA anderthalb Millionen Exemplare. Die Songs des Doppelalbums, das als erste Springsteen-Platte auf Platz eins der US-Charts kletterte, bildeten denn auch ein stabiles Rückgrat für die am 3. Oktober in Ann Arbor, Michigan, gestartete Welttournee, die erst ein Jahr und 140 Konzerte später, am 14. September 1981 in Cincinnati, Ohio, endete. Und tatsächlich bot „The River“ das ganze Spektrum der Springsteenschen Weltsicht: Introspektion und Vitalität, Einkehr und Spektakel, Trauer und Freude. Dazu jede Menge Asphalt. Und Wahrheit.
„The Ties That Bind: The River Collection“
Dieses Super Deluxe Boxset gibt es in zwei Ausführungen: mit vier CDs und drei DVDs oder vier CDs und zwei Blu-rays. Neben dem remasterten Original-Doppelalbum gibt es auf der dritten CD das zehn Tracks umfassende „The River: Single Album“, das damals nicht veröffentlicht wurde und neben einigen bekannten Tracks des späteren Doppelalbums auch Songs wie „Cindy“ und „Be True“ enthält, die es nicht auf „The River“ schafften; auf der vierten CD finden sich zudem 22 Outtakes aus den „The River“-Sessions, von denen elf bislang nicht veröffentlicht wurden.
Die DVDs und Blu-rays zeigen den unter der Regie von Thom Zimny produzierten neuen 60-minütigen Dokumentarfilm „The Ties That Bind“, der die Entstehung des Albums beleuchtet, dazu das komplette Konzert von Bruce Springsteen & The E Street Band vom 5. November 1980 im Arizona State University Activity Center in Tempe, Arizona, sowie in der Bonus-Sektion Aufnahmen einzelner Songs von den Tour Rehearsals. Obendrein ist das Boxset mit einem 148 Seiten starken Coffeetable-Hardcover-Buch ausgestattet, das bislang unveröffentlichtes Fotomaterial, diverse Memorabilia sowie Liner Notes des renommierten US-Journalisten Mikal Gilmore enthält.
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