David Gilmour: Grandioses Alterswerk!
Kaum ein neues Album wurde in diesen Monaten so neugierig erwartet wie das von David Gilmour: „Rattle That Lock“ überrascht mit einer ungewöhnlichen stilistischen Bandbreite, einer Riege illustrer Gäste und nicht zuletzt einer anrührenden Hommage an den verstorbenen Pink-Floyd-Keyboarder Rick Wright.
Text: Ernst Hofacker
Unverkennbar wie die menschliche Stimme
Es ist dieser Ton. Dieses Singen, fast ein Jubilieren. Wir kennen es von so vielen unvergesslichen Momenten, die den Hörer schon damals, in den turbulenten 1970er-Jahren, still wie kleine Inseln der Glückseligkeit im wildbewegten Vinyl-Meer erwarteten. Diese Momente, in denen David Gilmour hervortrat, seine Gitarre aufdrehte und mit wenigen monumentalen Noten die Musik von Pink Floyd adelte. Das wunderbare Intro von „Shine On You Crazy Diamond“ gehört dazu, das elegante Drama, das Gilmour aus „Comfortably Numb“ von „The Wall“ machte, und auch „Time“ von „The Dark Side Of The Moon“. Am bekanntesten wohl wurden seine markanten Solo-Einwürfe im Singlehit „Another Brick In The Wall Pt. II“. Nur wenige Gitarristen haben es in der langen Geschichte der Rockmusik geschafft, einen auch für den Laien so unverkennbar eigenen Ton zu entwickeln.
Nach annähernd 300 Millionen verkauften Pink-Floyd-Tonträgern weltweit dürfte also klar sein, was die Fangemeinde erwartet, wenn der Ausnahmegitarrist ein Soloalbum ankündigt: die Gitarre und die Stimme von Pink Floyd. Nicht mehr, nicht weniger. Einerseits eine komfortable Situation für den Musiker, der für den Erfolg nichts weiter tun muss, als die alten Klischees bedienen. Andererseits ein Klotz am kreativen Bein eines jeden Künstlers, der naturgemäß auch mal ausgetretene Pfade verlassen möchte. Und vielleicht auch einer der Gründe dafür, dass David Gilmour im Lauf der Jahrzehnte erst drei Soloalben veröffentlicht hat, das letzte, „On An Island“, im Jahr 2006.
Bahnhofsdurchsage wird Titelmelodie
Nun also das vierte, „Rattle That Lock“ – eine Platte, die den schwierigen Spagat meisterlich bewältigt. Gilmour leistet Dienst am Kunden, beschert der Gemeinde die so sehnsüchtig erwarteten Schlüsselreize, die an Pink Floyds Großtaten anknüpfen. Da gibt es die elegischen Klanglandschaften, zum Beispiel im Opener „Five A.M.“, wo Gilmour wie einst in „Shine On You Crazy Diamond“ mit wenigen Gitarrenlicks leuchtende Wegmarken setzt. Da gibt es die getragenen Tempi und die hymnischen Melodien, etwa in der anrührenden „A Boat Lies Waiting“, einer Hommage an den 2008 verstorbenen Pink-Floyd-Keyboarder Rick Wright.
Aber, und das macht „Rattle That Lock“ zum großartigen Alterswerk, das Album bietet auch Überraschungen, die Gilmour als kosmopolitischen Musiker zeigen, der weit mehr zu bieten hat als gediegene Denkmalpflege. Schon der Titeltrack überrascht mit einem ebenso simplen wie markanten Drei-Noten-Thema, mit dem Gilmour das Rückgrat eines überraschend tanzbaren Songs bildet. Auf die Idee kam er, als er während einer Frankreich-Reise auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Aix-en-Provence stand, wo die Durchsagen mit einem markanten Jingle eingeleitet werden. Gilmour gefiel die Tonfolge. Er nahm sie kurzerhand mit seinem iPhone auf und verwendete sie für „Rattle That Lock“.
Hilfe von ganz oben: David Crosby, Graham Nash u.v.m.
Ebenfalls ein ganz neues Gilmour-Gefühl beschert dem Hörer das im Walzerrhythmus gehaltene „Faces Of Stone“. Nicht weniger ungewohnt, nichtsdestotrotz überzeugend: Auf „The Girl In The Yellow Dress“ gibt der Pink-Floyd-Veteran den entspannten Barjazz-Crooner. Bei der Arbeit an „Rattle That Lock“ hat sich Gilmour weitgehend auf alte Freunde verlassen, ausnahmslos verdiente Koryphäen. So hat er das Werk gemeinsam mit Phil Manzanera produziert, seines Zeichens ebenfalls Ausnahmegitarrist mit Legendenstatus, der mit seiner Band Roxy Music bleibenden Ruhm erwarb. Hinterm Schlagzeug saß mit Andy Newmark einer der profiliertesten englischen Studiocracks überhaupt, der unter anderem für John Lennon, David Bowie und Eric Clapton spielte.
Vokale Schützenhilfe leisteten mit David Crosby und Graham Nash zwei weitere Rocklegenden („A Boat Lies Waiting“). Jools Holland gab „The Girl In The Yellow Dress“ den nötigen Piano-Swing, und der polnische Filmkomponist Zbigniew Preisner kümmerte sich um die komplexen Orchestrationen. Die Texte hat Gilmours Gattin, die Journalistin/Autorin Polly Samson, beigesteuert, und für die Ballade „In Any Tongue“ setzte sich Davids Sohn Gabriel Gilmour ans Klavier. Kein Zweifel, „Rattle That Lock“ ist das souveräne Alterswerk eines Giganten. Pink-Floyd-Momente schenkt es uns reichlich. Und die Gitarre? Sie hat noch immer diesen Ton. Und jubiliert.
Deluxe Edition: mit Poster, Plektrum und Hardcover-Buch
„Rattle That Lock“ ist in verschiedenen Editionen erhältlich: als Die Standard-Version kommt als CD-Digipack mit 22-seitigem Booklet und auf 180-Gramm-Vinyl; die Deluxe Edition bietet neben dem eigentlichen Album jede Menge Schmankerl, wahlweise auf DVD oder Blu-ray. So gibt es auf der Blu-ray das Album im 5.1 Sound zu hören, dazu diverse Audio-Only-Alternative-Mixe und in der Audio-Visual-Sektion vier sogenannte „Barn Jams“ aus dem Jahr 2007, bei denen auch Gilmours Pink-Floyd-Kollege Rick Wright mitwirkte; abgerundet wird das Bewegtbild-Angebot durch Videoclips zu einzelnen Albumtracks sowie diverse Dokus, darunter ein Making-of. Ausgestattet ist die Deluxe Edition zudem mit einem Hardcover-Booklet, Poster, Postkarte, original Gitarren-Plektrum sowie einem weiteren Hardcover-Buch mit dem zweiten Kapitel aus dem Gedicht-Epos „Paradise Lost“ von John Milton (1608-1678), das Polly Samson als Inspiration für die Song-Lyrics diente.
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