Miles Davis: Historisches Boxset mit allen Newport-Auftritten
Seine Auftritte beim Newport Jazz Festival gehören ausnahmslos in die Kategorie „Sternstunde“. Das 4-CD-Boxset „Miles Davis At Newport 1955-1975: The Bootleg Series Vol. 4“ dokumentiert die Magie jener Live-Momente des legendären Trompeters und seiner hochkarätigen Mitmusiker eindrucksvoll und bietet ein Nachschlagewerk seines Genres.
Text: Ernst Hofacker
Virtuosität, Improvisation, Spontaneität und nicht zuletzt Personality eines Künstlers sind die Qualitäten, die im Jazz zählen, und live kommen sie am besten zur Geltung. Kaum eine Musik gehört folglich ihrem Wesen nach so sehr auf die Bühne wie der Jazz. Etwa 180 Meilen nordöstlich von New York, auf Rhode Island, ist die Mutter aller Festivals beheimatet. Seit seiner Premiere im Jahr 1954 zählt das Newport Jazz Festival zu den verlässlichsten und renommiertesten Leistungsschauen des Genres*. Und kein Musiker dürfte diesem Festival über die Jahre so zahlreiche musikalische Sternstunden beschert haben wie Miles Davis (1926-1991).
Plattenvertrag aufgrund eines einzigen Solos
Im Jahr 1955 trat der damals 29-jährige Trompeter zum ersten Mal in Newport auf, und vor allem mit seiner legendären Soloeinlage bei Thelonius Monks Komposition „Round Midnight“ setzte er ein Highlight, das ihm prompt einen Vertrag mit dem renommierten Label Columbia einbrachte. Dessen Produzent George Avakian nahm Davis, der in den Jahren zuvor eine Karriereflaute erlebt hatte, einzig aufgrund dieses Auftritts unter Vertrag. Davis nahm in den folgenden Jahren für Columbia einige seiner berühmtesten Alben auf, darunter „Round About Midnight“, „Kind Of Blue“, „Miles Ahead“ und „Sketches Of Spain“.
Klar, dass der Mann, der sich nun zum erfolgreichsten und einflussreichsten Jazzmusiker seiner Generation entwickelte, Stammgast in Newport wurde. 1958 trat er dort auf, ebenso in den Jahren 1966, 1967, 1969, 1971, 1973 und 1975. Das 4-CD-Boxset „Miles Davis At Newport 1955-1975: The Bootleg Series Vol. 4“ dokumentiert dieses besondere Kapitel in der Festival-Historie und fasst sämtliche Auftritte des Ausnahmemusikers in den genannten Jahren zusammen.
Miles und die High Society des Jazz
Neben den eigentlichen Konzerten in Newport zählen dazu auch Auftritte im Rahmen der Festival-Europatourneen 1971 (Dietikon, Schweiz) und 1973 (West-Berlin). CD 1 fasst die All-Star-Jam von 1955 (mit Gerry Mulligan, Thelonius Monk u. a.) und den Auftritt des Miles Davis Quintets von 1958 (mit John Coltrane u. a.) zusammen. CD 2 dokumentiert die Jahre 1966/67, als Davis sein berühmtes „Second Quintet“, u. a. mit Wayne Shorter und Herbie Hancock, vorstellte. Das Kernstück der dritten CD bildet das Gastspiel von 1969, das gleichsam die kreativen Wehen einleitete, die kurz darauf zu den legendären „Bitches Brew“-Sessions führten. Mit diesem Album fusionierte Davis erstmals Rock und Jazz und läutete so eine neue Zeitrechnung im Jazz ein. Zu welch faszinierenden Ergebnissen die Auseinandersetzung mit dem Material von „Bitches Brew“ und weiteren in dieser Zeit veröffentlichten Studioalben wie „In A Silent Way“ und „Jack Johnson“ auf der Bühne führte, lässt sich auf CD 4 hören. Sie präsentiert Davis im Jahr 1971 mit einer Septett-Besetzung, u. a. spielen Gary Bartz (sax), Keith Jarrett (p, org) und Michael Henderson (b).
* Einen authentischen Eindruck von der einzigartigen Atmosphäre des Newport Jazz Festivals vermittelt der legendäre Kinofilm „Jazz on a Summer’s Day“ (1958, Regie: Bert Stern) mit Auftritten u. a. von Thelonius Monk, Chico Hamilton, Anita O’Day, Mahalia Jackson, Chuck Berry und Louis Armstrong.