Feb
9
2015

Bob Dylan: die folgenschwersten Seitensprünge

Beitrag_quadratisch

Er geht schon wieder fremd: Mit seinem neuen Album „Shadows In The Night“ taucht Bob Dylan tief in die Balladenwelt des Great American Songbook ein und überrascht seine Fans. Nicht zum ersten Mal! Ein Blick in Dylans Album-Chronik offenbart seine folgenschwersten Seitensprünge – vom Überlauf zum verteufelten Rock 1965 und einem Country-Trip 1969 bis hin zu Weihnachtsliedern 2009 und dem aktuellen Lustwandeln auf Sinatras Pfaden.

Text: Ernst Hofacker

 

 

 

BobDylan_ShadowsInTheNight_webShadows In The Night (2015)
Bob, der Crooner
„I’m A Fool To Want You“, „That Lucky Old Sun“ oder das vermeintlich totgenudelte „Autumn Leaves“ – all dies sind Klassiker des Great American Songbook, die einst durch die Interpretation von Frank Sinatra berühmt wurden. Nun hat sich Bob Dylan diesen Fundus vorgenommen, herausgekommen ist dabei keineswegs eine launige Sinatra-Hommage oder ein nostalgisches Cover-Projekt. Stattdessen summiert sich „Shadows In The Night“ zur ebenso berührenden wie introvertierten Reflexion der großen Themen Bestimmung, Vergänglichkeit und Erlösung.

BobDylan_ChristmasInTheHeart_webChristmas In The Heart (2009)
Onkel Bob spielt Weihnachtsmann
Es war so ziemlich das Letzte, was irgendjemand auf dieser Welt von Bob Dylan erwartet hätte: ein Album mit konventionellen Weihnachtsliedern inklusive „Winter Wonderland“ und „Little Drummer Boy“. Genau das aber veröffentlichte der Songwriter im Jahr 2009. Inzwischen aber gilt „Christmas In The Heart“ als exotische Perle im Schaffen des größten aller Songwriter.

BobDylan_TimeOutOfMind_webTime Out Of Mind (1997)
The Dark Side Of B.D.
Ein Studioalbum mit neuen Songs hatte es zuletzt 1990 gegeben. Seitdem befand sich Dylan mit seiner Band auf der „Never Ending Tour“, und kaum jemand hätte erwartet, dass er nach den eher durchwachsenen Arbeiten der 1980er-Jahre noch einmal mit einem Alterswerk von geradezu biblischer Kraft auftrumpfen würde: „Time Out Of Mind“ klingt düster und modern, wurde dem Americana-Genre zugeordnet und mit drei Grammies ausgezeichnet.

BobDylan_GoodAsIBeenToYou_webGood As I Been To You (1992)
Vorkriegs-Blues im Grunge-Zeitalter
Mit Beginn der „Never Ending Tour“ hatte Dylan auch dem üblichen Rhythmus der Plattenindustrie – regelmäßige Veröffentlichung eines neuen Albums, anschließend Promotion, dann Tournee und danach alles wieder von vorne – abgeschworen. Nicht wenige vermuteten damit das Ende von Dylans Karriere als Plattenkünstler. 1992 aber überraschte der Mann aus Minnesota mit einer knarzig-knorrigen Sammlung alter Folksongs, die er allein zur akustischen Gitarre und Harp intonierte. „Good As I Been To You“ und das im Jahr darauf erschienene „World Gone Wrong“ legten Dylans tiefe Verwurzelung in der archaischen Musikwelt des Vorkriegs-Blues und -Folk offen.

BobDylan_SlowTrainComing_webSlow Train Coming (1979)
Dylan gelobt den Herrn
Auch dieses Album, das damals 21. in Dylans Karriere, sorgte für jede Menge Aufhorchen. Auf „Slow Train Coming“ und in Songs wie „Gotta Serve Somebody“, „Man Gave Names To All The Animals“ und „Slow Train“ beschäftigte sich der Sänger, der damals, nach der Scheidung von seiner Ehefrau Sara, zum christlichen Glauben konvertiert war, fast ausschließlich mit religiösen Themen. Weitere Platten wie „Saved“ (1980) und „Shot Of Love“ (1981) schlugen thematisch in dieselbe Kerbe.

BobDylan_SelfPortrait_webSelf Portrait (1970)
Selbstparodie mit Coversongs
Ob als Folkie, Rocker oder Countrybarde – nie war Dylan im Verlauf der 1960er-Jahre weniger als brillant gewesen. Und nun das: „Self Portrait“ erschien als ein etwas konfuses Doppelalbum mit unfertigen Demos, stilistischen Experimenten und oberflächlichen, gelegentlich als Parodien angelegten Coverversionen von Paul Simon bis Gilbert Bécaud. Ein Kritiker schrieb: „Weniger Selbstportrait als Selbstparodie.“ Tatsächlich ist „Self Portrait“ das bis heute wohl umstrittenste Album in Dylans reichem Katalog.

BobDylan_NashvilleSkyline_webNashville Skyline (1969)
Studienreise in die Countrymusik
Mitte der 1960er-Jahre war Dylan mit kraftvollem Rock zum Chefarchitekten des modernen Popsongs und zum Propheten der Swinging Sixties geworden. „John Wesley Harding“ (1967) schon hatte überraschend zurückhaltende Töne angeschlagen, „Nashville Skyline“ aber vermittelte 1969 ein vollkommen neues Dylan-Gefühl: Hier präsentierte er nicht nur plötzlich einen bislang ungehörten, sanften Gesangsstil – mit Songs wie „Lay Lady Lay“, „Tonight I’ll Be Staying Here With You“ und dem Johny-Cash-Duett „Girl From The North Country“ tauchte er obendrein tief ein in die beim Rockpublikum damaliger Tage verpönte Countrymusik.

BobDylan_BringingItAllBackHome_webBringing It All Back Home (1965)
Skandal im Folkbezirk
Es war der wohl berühmteste Haken, den Bob Dylan in seiner langen Karriere schlug: Nachdem er in den frühen 1960er-Jahren mit Klampfe, Harp, Raspelstimme und Protestsongs wie „Masters Of War“ und „Blowin’ In The Wind“ zum Hoffnungsträger des US-Folk aufgestiegen war, setzte er 1965 seine Gitarre unter Strom, heuerte eine Begleitband an und brachte mit „Bringing It All Back Home“ ein Album heraus, das krachenden Rock’n’Roll á la „Outlaw Blues“, „Maggie’s Farm“ und „Subterranean Homesick Blues“ bereithielt. Die epochalen Arbeiten „Highway 61 Revisited“ (1965) und Blonde On Blonde“ (1966) folgten, die Folkgemeinde zeterte („Verrat!“) – und der Pop hatte einen neuen Messias.

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WEITERLESEN: Bob Dylan – alles zum neuen Album „Shadows In The Night“