Da waren sie ratlos, alle miteinander! „Self Portrait“ war 1970 ein Doppelalbum voller eigenwilliger Coverversionen, sonderbarer Instrumentals, schludriger Live-Mitschnitte und gewöhnungsbedürftiger Neuinterpretationen eigener Songs. Alles in allem ein höchst rätselhaftes Sammelsurium, das auch nach x-maligem Hören keinen verborgenen Sinn preisgab und folglich bis heute von der versammelten Dylanologie nicht zweifelsfrei entschlüsselt werden konnte.

Text: Ernst Hofacker

Als Bob Dylan nach seiner grandiosen Trilogie – „Bringing It All Back Home“ (1965), „Highway 61 Revisited“ (1965) und „Blonde On Blonde“ (1966) – mit „John Wesley Harding“ (1967) und „Nashville Skyline“ (1969) plötzlich den Countryrock ausgerufen hatte, war das für viele Fans schon schwer nachzuvollziehen. Was der Meister aber im Juni 1970 herausbrachte, stieß die versammelte Dylan-Gefolgschaft vor den Kopf.

Dennoch nimmt „Self Portait“ einen bedeutenden Platz im Schaffen des größten aller Songwriter ein, denn noch immer markiert es eine wichtige Station des Prozesses, mit dem sich Dylan ab Ende der 1960er Jahre aus der Verantwortung des „Sprachrohrs seiner Generation“ stahl, einer Rolle, die ihm Publikum und Kritik ungefragt aufgezwungen hatten. Und: Was immer man von „Self Portrait“ halten mag, das Album bleibt eine faszinierende Momentaufnahme von Dylans musikalischer (Selbst-)Wahrnehmung in jener Phase und ein aufschlussreiches Bindeglied zwischen dem extrovertierten Bilderstürmer der 1960er Jahre und der Introspektion des Songpoeten von „Blood On The Tracks“ (1974). Ein Dokument künstlerischer Häutung – möglicherweise nicht eben hübsch und gefällig, wohl aber notwendig und voller Wahrheit.

Die Sammlung „Bootleg Series, Vol. 10: Another Self Portrait (1969-1971)“ gewährt einen umfassenden Blick in Dylans künstlerische Werkstatt jener Jahre. Auf zwei CDs finden sich 35 Tracks aus den Archiven, darunter bislang unveröffentlichte Aufnahmen, Demos und Alternativversionen bekannter Stücke, die hauptsächlich während der Aufnahmesessions zu „Nashville Skyline“, „Self Portrait“ und dessen Nachfolgewerk „New Morning“ (1971) entstanden sind.

„Bootleg Series, Vol. 10: Another Self Portrait (1969-1971)“ ist neben der einfachen Version als Doppel-CD auch als 3-LP-Vinyl-Set sowie als Deluxe Edition erhältlich. Letztere enthält neben zwei Hardcover Books zusätzlich auf einer dritten CD eine remasterte Version des originalen „Self Portait“-Albums von 1970 sowie auf einer vierten CD den bislang unveröffentlichten 16-Song-Mitschnitt eines Konzertes von Bob Dylan and The Band beim Isle Of Wright Festival vom 31. August 1969.