Der Grammy prämierte Singer/Songwriter war eine prägende Figur der 1960er und 1970er und beeinflusste Künstler wie The Beatles, The Monkees, Randy Newman, u.v.m.

Es kommt in der Geschichte des Pop nicht oft vor, dass sich Musiker als Fans eines musikalischen Zeitgenossen outen. Lieber beruft man sich bei der Frage nach Vorbildern auf verstorbene Größen oder Stars im Ruhestand. Bei Harry Nilsson (1941-1994) war das anders. Ganz offen demonstrierten Superstars wie die Beatles, die Monkees, Randy Newman, Keith Moon oder Jimmy Webb ihre große Bewunderung für diesen Songwriter.

Am 26. Juli 2013 veröffentlichte RCA/Legacy die THE RCA ALBUMS COLLECTION mit 17 CDs des Ausnahmekönners. Gerade die Musikliebhaber, denen der Name Harry Nilsson nur wegen seiner Grammy®-prämierten Interpretationen anderer Komponisten – Badfingers „Without You“ und Fred Neils „Everybody’s Talkin’“ (aus dem Soundtrack zu Midnight Cowboy, 1969) – geläufig ist, sei dieses Boxset ans Herz gelegt. Ja, Nilsson war auch ein Freund von Covers, genau so häufig aber bedienten sich andere Künstler bei seinem Oeuvre. So spielten Three Dog Night  den Song „One“ nach, die Monkees „Cuddly Toy”, die Yardbirds nahmen sich „Ten Little Indians”vor und sogar Blood, Sweat & Tears hatten mit „Without Her” ihren eigenen Nilsson-Titel im Repertoire.

Andere Songs, die Harry in den Charts platzieren konnte und an die sich die Freunde der 1970er erinnern werden, sind: „Jump Into The Fire” und „Coconut“ aus dem Album Nilsson Schmilsson ), “Me And My Arrow“ (aus dem Soundtrack zum Zeichentrickfilm „The Point“) oder „Girlfriend“ aus der TV-Serie Eddies Vater.

THE RCA ALBUMS COLLECTION präsentiert alle 14 Alben, die Harry Nilsson für RCA Records U.S. aufgenommen hat. Angefangen bei der 1967er LP Pandemonium Shadow Show (Highlights: Harrys Versionen der Beatles-Songs „You Can’t Do That“ und „She’s Leaving Home“), bis hin zu Knnillssonn, dem letzten Album, das er für das Label 1977 einspielte.
Beeindruckend auch die Fülle an Bonusmaterial, die THE RCA ALBUMS COLLECTION zu bieten hat. Insgesamt handelt es sich um 65 Tracks, von denen 26 noch nie veröffentlicht wurden. Dazu kommen drei neu zusammengestellte CDs mit Session-Takes. Nilsson Sessions 1967-1968, Nilsson Sessions 1968-1971 und Nilsson Sessions 1971-1974 enthalten insgesamt 58 Tracks – auch hier sind 29 bislang unveröffentlichte Songs zu finden.

Kindheit und Jugend

Als Harry Nilsson am 15. Juni 1941 in Brooklyn, New York geboren wurde, sah es nicht danach aus, als wäre der Neugeborene vom Schicksal besonders begünstigt worden. Sein Vater hatte die Familie verlassen (Harrys Mutter behauptete immer er wäre im Krieg gefallen, doch der Sohn fand später heraus, dass dies eine Lüge war) und so zog die Mutter mit Harry und seiner Halbschwester nach Südkalifornien. Es war der Beginn einer kleinen Odyssee, die das Trio durch die Vereinigten Staaten führte. Auf dieser Reise klapperte man die gesamte Verwandtschaft ab, fand bei Onkeln und Tanten für kurze Zeit Unterkunft, um bald wieder die Adresse zu wechseln. Die letzte Station der Irrfahrten war Los Angeles und dort ließen sich die Nilssons schließlich nieder.

Mit der Schule hatte der jugendliche Harry nicht viel am Hut. Er brach seine Ausbildung ab und nahm einen Job am Paramount Theater an, wo er sich bis zum stellvertretenden Geschäftsführer hocharbeitete. Das Paramount galt bis zu seiner Schließung im Jahr 1960 als viertgrößtes Theater der Welt und war vor allem wegen seiner Rock-And-Roll-Shows bekannt. Es war der richtige Ort für Harry, um mit der Musik in Berührung zu kommen. Er lernte von den Künstlern, die im Haus auftraten, seine ersten Akkorde am Piano und erwies sich bald als große Begabung an diesem Instrument.

Die Beatles als größte Fans

Nachdem das Theater seine Türen für immer geschlossen hatte, fing Harry damit an, eigene Songs zu schreiben und Demos zu besingen, während er sein Geld in der Computerabteilung einer Bank verdiente. Tatsächlich sollte sich sein Fleiß bezahlt machen, denn 1967 ergatterte Harry einen Plattenvertrag bei RCA Victor. Sein erstes Album für das Label wurde unter dem Titel Pandemonium Shadow Show veröffentlicht und mehr als ein Dutzend weitere LPs sollten folgen.

Harrys Aufstieg zum Star hatte erst begonnen, als die Beatles seine Musik für sich entdeckten. Die Fab Four waren damals auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und wurden zu seinen größten Fans. Als die Liverpooler Helden auf einer Pressekonferenz in New York die Gründung ihres Apple-Labels bekannt gaben, machte John Lennon keinen Hehl aus seiner Begeisterung für den Songwriter und prägte dabei den unvergessenen Satz: „Nilsson ist meine Lieblingsband“.

Beim gleichen Aufenthalt in Big Apple skandierte Lennon den Slogan „Nilsson for President“ und auch Ringo Starr outete sich als Anhänger von Harrys Kompositionen. Vom Beatles-Schlagzeuger stammt das Zitat Nilsson habe „die großartigste Stimme auf unserem Planeten“.

Aus gegenseitiger Bewunderung wurde bald eine enge Freundschaft, die die Beatles und Nilsson lange verband. Johns und Harrys gemeinsame Eskapaden Mitte der 1970er gehören heute zu den legendären Storys der Rockgeschichte und Ringo fungierte bei Harrys Hochzeit mit Una, der Mutter von sechs seiner sieben Kinder als Trauzeuge.

Steilvorlage für zahlreiche Hits

Harry Nilsson veröffentlichte ein Album nach dem anderen und die Kritik feierte nicht nur seine Eigenkompositionen, sondern auch seine Interpretationen von Songs anderer Künstler. Hier sind vor allem „Everybody’s Talkin’” und „Without You” zu nennen, Stücke, für die er mit dem Grammy ausgezeichnet wurde. Doch Harry coverte nicht nur, seine Songs wurden auch gecovert. Die Liste der Musiker, die eigene Versionen von Nilsson-Titeln im Repertoire hatten, liest sich wie ein Who is Who der Branche: Joe Cocker, Neil Diamond, Diana Ross oder Barbra Streisand bedienten sich ebenso bei seinem Oeuvre wie Ella Fitzgerald, Johnny Mathis, Glen Campbell oder Brian Wilson. Three Dog Night feierten ihren Durchbruch mit  Nilssons „One“ und erreichten mit dem Cover Goldstatus, die Monkees kletterten mit ihrer Version von  „Cuddly Toy“ bis auf Nummer 4 der UK-Charts.

Songs für Hollywood

Nilssons Musik ist in unzähligen Filmen und TV-Sendungen zu hören. Gleich fünf seiner Kompositionen  untermalen den 1998er Streifen „E-Mail für dich“ mit Tom Hanks und Meg Ryan, dabei ist „I Guess the Lord Must Be in New York City“ sogar in zwei Versionen (Harry ist während des Films zu hören, Sinead O’Connors Interpretation im Abspann) vertreten. Weitere Filme, zu deren Score Nilsson-Songs gehören sind u.a. Midnight Cowboy, Forrest Gump, Zauberhafte Schwestern, Casino, All That Jazz, Contact, Der Eissturm, GoodFellas, Skidoo, Der Hexenclub, Reservoir Dogs, Ein gutes Jahr, Crank, Bottle Shock, Shopaholic – die Schnäppchenjägerin oder Popeye.

Außerdem war er für die Story und den Soundtrack des liebevoll animierten Films The Point verantwortlich. Dustin Hoffmann hatte hier eine Sprechrolle als Erzähler, die in der Videoausgabe des Films von Ringo Starr übernommen wurde.

Wer Harry Nilsson in eine Schublade stecken will, wird es schwer haben. Als Künstler blieb er immer ein Rätsel, seine Songs decken eine derart große Bandbreite ab, dass sie sich keinem speziellen Genre zuordnen lassen. Und obwohl man seine Stimme auf der ganzen Welt kennt, war Harry nie auf Tour und trat äußerst selten öffentlich auf, weil er die Studioarbeit den Live-Gigs vorzog.

Am15. Januar 1994 verstarb Harry Nilsson mit 52 Jahren in seinem Haus in Agoura Hills, Kalifornien. Aber auch wenn er nicht mehr unter uns weilt, so bleibt er unvergessen. Denn bis heute bewegt und begeistert sein musikalisches Erbe jeden Tag Millionen von Menschen.