Sep
24
2012

RIO I.: KÖNIG BEI RECLAM

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Ehre, wem Ehre gebührt, so heißt es. Auf welchen Pionier der deutschsprachigen Musikszene träfe dies besser zu als auf Rio Reiser? Also ehrt die „Reclam Musik Edition“ nun auch den 1996 verstorbenen „König von Deutschland“– sowie noch drei weitere Ikonen der Pophistorie.  

Text: Ernst Hofacker 

Pionier ist fast zu wenig gesagt. Wenn Udo Lindenbergs Frühwerk so etwas wie die Mutter der einheimischen Popdichtung ist, dann ist Rio Reiser mit seiner intelligenten und  hintergründigen, gleichwohl süffigen und vitalen Songlyrik der geistige Vater all der heute wie selbstverständlich in deutscher Zunge singenden Popkünstler, welcher stilistischen Coleur auch immer sie sein mögen. Keine „Perfekte Welle“ von Silbermond ohne „Übers Meer“ von Rio, keine „Wolke 7“ von Max Herre feat. Phillip Poisel ohne „Junimond“ und „Für immer und dich“.

Geboren wird Ralph Christian Möbius am 9. Januar 1950 in Berlin-West. Die Familie führt ein Nomadenleben, nirgendwo schlägt der Junge Wurzeln. Früh schon fällt er durch seinen hartnäckigen Sturkopf auf, die Schule verlässt er vorzeitig, beginnt eine Fotografenlehre, bringt sich selbst Klavier, Gitarre, Cello und weitere Instrumente bei. 1970 dann, auf dem Höhepunkt von APO und Gegenkultur, Bekenntnis zur Homosexualität und erste Gehversuche mit Ton Steine Scherben, die mit Slogans wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und „Keine Macht für Niemand“ schnell zum linken Gewissen der Rockrepublik aufsteigen (gleichwohl kommerziell nie auf einen grünen Zweig kommen). Da heißt Möbius längst schon Rio Reiser, inspiriert von der Figur des Anton Reiser aus dem gleichnamigen Roman von Karl Philipp Moritz. Es ist ein steiniger Weg, den die Scherben hinter sich bringen, er beginnt auf den 1968er-Barrikaden und endet auf den friedensbewegten Anti-AKW-Demos der 1980er Jahre.

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1985 wirft die Band das Handtuch, und Rio beginnt eine Solokarriere, die ihn überraschend bis in höchste Chartregionen katapultiert. Plötzlich ist er „König von Deutschland“, verkauft Millionen Schallplatten und muss sich anhören, dass er die alten Genossen zugunsten des Kommerzes verkauft habe. Aber auch do oben auf seinem Pop-Thron bleibt Reiser unberechenbar und eigenwillig wie eh, experimentiert bald mit elektronischer Musik, schreibt Seemannslieder und rockt dann plötzlich wieder hemdsärmelig.

Es ist die sprichwörtliche Kerze, dies an beiden Enden brennt. Ein Getriebener, der auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt, am wenigsten auf sich selbst. Spätestens zu Beginn der 1990er Jahre häufen sich seine gesundheitlichen Probleme, am 20. August 1996 gibt sein schmächtiger Körper auf. Rio Reiser erliegt daheim im friesischen Fresenhagen einem Kreislaufversagen aufgrund innerer Blutungen.

Die aktuelle Reihe der „All Time Best“-Serie von Sony Music und Reclam ist am 14. September erschienen, diesmal mit Werksammlungen von Rio Reiser, Nena, Karat,  Aretha Franklin und Earth, Wind & Fire

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