JOE STRUMMER: REVOLUTION ROCKS!
Am 21. August wäre Joe Strummer 60 Jahre alt geworden. Vor zehn Jahren aber erlag der Mitbegründer der legendären The Clash einem Herzinfarkt. Wir erinnern an einen der ganz Großen des britischen Rock.
von Ernst Hofacker
Heiliger Zorn und hehre Kunst – nicht immer vertragen sich die beiden Dinge. Im Fall von John Graham Mellor, geboren am 21. August 1952 in Ankara, Türkei, war das indes kein Problem. Im Gegenteil, bei ihm befeuerte sich beides gegenseitig.
Von Anfang an: Der Vater ist ein britischer Diplomat, der mit den Großen und Mächtigen verkehrt; der ältere Bruder Mitglied der National Front und bringt sich 1970, John ist gerade 17, um; dazu eine Ausbildung in einem Internat für Gutbetuchte – wenn er nicht gerade Heimweh hat, widern John die verwöhnten Mitschüler an. Was muss es in dem Jungen rumort haben. Kein Wunder, dass er nach der Schule in der Londoner Hausbesetzerszene untertaucht. Dort trifft sein künstlerisches Talent – früh schon will er Popstar werden, versucht sich zwischenzeitlich auch als Zeichner – auf politisch-oppositionellen Nährboden. Er nennt sich nun Woody Mellor, nach seinem Idol, dem amerikanischen Protestsänger Woody Guthrie. Der Weg in die Pubrockszene, wo sich allmählich eine Gegenbewegung zur etablierten und aufgeblasenen Rockaristokratie der frühen Siebziger formiert, ist für John nur folgerichtig. Als er mit den 101’ers seinen ersten ernsthaften Versuch als Musiker und Songwriter unternimmt, hat er seine Identität als Künstler gefunden – und den Bühnennamen, unter dem er weltberühmt werden sollte: Joe Strummer, der neue Nachname geht zurück auf das englische Wort „strumming“ und spielt an auf seine Fähigkeiten als Rhythmusgitarrist.
Den endgültigen Kick erhält Joe Anfang 1976, als seine Band einen gemeinsamen Auftritt mit den noch völlig unbekannten Sex Pistols hat. Joe ist so beeindruckt von Johnny Rotten & Co., dass er die 101’ers aufgibt und gemeinsam mit Mick Jones, Paul Simenon und Terry Chimes (ein Jahr später ersetzt durch Topper Headon) The Clash gründet. Es ist die Band, auf die der Punk gewartet hat, und es ist die Band, die auf den Punk gewartet hat. Denn Strummer & Co. werden umgehend zu Galionsfiguren der Bewegung, zu ihrem linken Gewissen. Und ihr musikalisches Potential reicht weit über die üblichen Drei-Akkord-Rüpeleien hinaus.
Wie keine andere Band jener Zeit sind The Clash in der Lage, ihren Zorn, ihre Energie und ihre Radikalität mit musikalischem Kosmopolitentum und lyrischer Finesse zu kreuzen. Nach den ersten beiden Alben („The Clash“, 1977, und „Give ’Em Enough Rope“, 1978) zeigt sich das 1979 in Vollendung auf dem dritten Album, der Doppel-LP „London Calling“. Hier fließen originärer Punk, harter Rock, Pop-Sensibilität, Reggae- und New-Wave-Anleihen homogen ineinander, Klassiker wie der Titeltrack, „The Guns Of Brixton“, „Revolution Rock“ und „Brand New Cadillac“ gehören zu den stärksten Momenten, die der britische Pop in seiner Geschichte zu bieten hat. 1980 legen The Clash mit dem ambitionierten Triplealbum „Sandinista“ nach, ihren Höhepunkt aber hat die Band nun überschritten. Streitereien zwischen den kreativen Köpfen Strummer und Jones sowie Topper Headon’s Drogenprobleme unterhöhlen den Zusammenhalt. Das lange Sterben von The Clash hat begonnen.
1985 erscheint mit „Cut The Crap“ der Abgesang, Strummer, der inzwischen auch Ambitionen als Schauspieler pflegt, macht solo weiter. Mit durchwachsenem Erfolg – aber auch mit dem alten Feuer. Vor allem in den späten 1990er Jahren wird das deutlich, als er nach einem Zwischenspiel als Shane-MacGowan-Ersatz bei The Pogues auf seinem zweiten Soloalbum „Rock Art And The X-Ray-Style“ (1999) seine neue Begleitband The Mescaleros vorstellt. Zwei Jahre später folgt mit „Global-A-Go-Go“ die zweite gemeinsame Arbeit.
Strummer, der sich immer gegen eine Clash-Reunion gewehrt hat, weil ihm das als Verrat an der ursprünglichen Idee vorgekommen wäre, scheint wieder voll da zu sein. Kurz vor Weihnachten 2002 noch schreibt er gemeinsam mit Bono den Song „46664“ für einen Anti-AIDS-Kampagne in Südafrika.
Das Lied wird zum Vermächtnis: Am 22. Dezember 2002 erliegt Joe Strummer in seinem Haus in Broomfield, Somerset, völlig überraschend einem Herzinfarkt, hervorgerufen durch einen nie diagnostizierten Herzfehler.
„After all this – won’t you give me a smile?“ („London Calling“, 1979)
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