HAPPY BIRTHDAY, LOU REED – WALK ON!
Seit den Anfängen mit Velvet Underground in den 1960er Jahren gilt Lou Reed als Enfant Terrible der Rockszene. Deren intellektueller Flügel indes verehrt ihn seit Jahrzehnten als Ikone der Pop-Avantgarde. Heute feiert Reed seinen 70 Geburtstag – Legacy-Club gratuliert.
von Ernst Hofacker
Dass es sich bei den inzwischen mehr als 40 Alben des schmalen Mannes mit dem notorisch schlecht gelaunten Blick um ein homogenes Gesamtwerk handeln würde, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Und warum auch sollte es das sein? Lou Reed, geboren am 2. März 1942 im New Yorker Stadtteil Brooklyn, war schon immer ein Mann der Extreme, einer, der lieber Haken schlug, abrupt die Marschrichtung änderte und achselzuckend auf die Erwartungshaltungen von Branche und Publikum pfiff. Tabus interessierten ihn dabei höchstens insofern, als sie sich brechen ließen. Velvet-Underground-Songs wie „Heroin“, „I’m Waiting For My Man“ und „Venus In Furs“ leuchteten sexuelle Abgründe, Drogenerfahrungen und düstere Suizidphantasien aus, die der Rockmusik einen ganz neuen Realismus und lyrische Dimensionen erschlossen, um die Dylan, Beatles und Stones bis dahin vorsichtshalber lieber einen Bogen geschlagen hatten.
Als Reed das VU-Kapitel hinter sich gelassen hatte und zu Beginn der 1970er Jahre mit der Kulthymne „Walk On The Wild Side“ zum Star aufgestiegen war, ließ er sich jedoch auf die Rolle des schillernden Glam-Poeten nicht festlegen. Lieber stieß er sein Publikum mit sperrigen Noise-Experimenten wie „Metal Machine Music“ vor den Kopf – nur um im nächsten Atemzug mit „Coney Island Baby“ eines der zugänglichsten Alben seiner Karriere abzuliefern.
Unberechenbarkeit blieb die einzige Konstante, und niemand wusste genauer als Lou Reed, dass nur diese Unberechenbarkeit ihm die Bewegungsfreiheit des kompromisslosen Künstlers sichern konnte. Inzwischen hat Reed seine Aktivitäten neben der Musik auch auf das Theater und die Literatur verlegt, so inszenierte er am renommierten Hamburger Thalia Theater im Jahr 2000 mit „POEtry“ eine musikalische Revue zum Thema Edgar Allen Poe.
Dass er zuletzt mit einem tatsächlichen „walk on the wild side“ von sich reden machte, passt ins Bild: 2011 veröffentlichte Reed das gemeinsam mit Metallica eingespielte Album „Lulu“ – und löste damit prompt heftigste Kontroversen in den Feuilletons aus. Was ihm ziemlich wurscht gewesen sein dürfte.