COHEN FEIERT SEINEN GEBURTSTAG IN GELB
Am heutigen Mittwoch feiert der großartige Musiker Leonard Cohen seinen 77. Geburtstag. Mit eindringlichen Song-Poemen wurde er neben Bob Dylan zum wichtigsten Songwriter der Sechziger. Bis heute ist er ein Mann der leisen Töne geblieben, dessen Botschaften gleichwohl auf der ganzen Welt gehört werden.
von Ernst Hofacker
Hätte es Pop nicht gegeben, Leonard Cohen wäre trotzdem ein berühmter Sänger geworden. Die New York Times nannte ihn einen „Lord Byron des Rock’n’Roll“, dessen „einzigartige Erscheinung für das Medium Pop denkbar ungeeignet“ schien. Und doch: Kaum ein Songwriter definierte die kultivierte, die intellektuelle Seite des Pop mehr als eben dieser kanadische Dichter. Cohens Werk war über die Dekaden präsent, seine Songs wurden zu Hits in eigenen und fremden Interpretationen. Ihr Schöpfer indes blieb eine mythische Figur in der Distanz, ein Bohemien, dem die Aufgeregtheiten des Betriebs nur ein weises Lächeln abringen konnten.
Als die Beatles 1964 Amerika eroberten, war der Mann aus Westmount, Montreal, bereits 30 Jahre alt und ein Literat mit Referenzen. 1934 in eine russisch-jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren, hatte er schon mit 21 Jahren ein Geschichtsstudium abgeschlossen und sich auf die Schreiberei verlegt. Mit Erfolg: Mitte der sechziger Jahre gehörte Cohen mit seinen Gedichtbänden und Novellen zu den Namen, die in den richtigen Kreisen genannt wurden. Auch in den Zirkeln der New Yorker Folkszene, wo junge Künstler wie Judy Collins und Joni Mitchell den Tonangaben. Collins war es denn auch, die Cohen einem breiten Pop- Publikum vorstellte, indem sie seine melancholische Ballade „Suzanne“ zum Hit machte. Ab 1967 berauschten sich die Hippies, die doch eigentlich keinem über 30 trauen wollten, an den tiefsinnigen Poemen und hintergründigen Moritaten des kleingewachsenen Kanadiers, der seine Songs nun selbst vortrug. „Songs Of Leonard Cohen“ (1968), in kargen akustischen Farben gehalten und asketisch instrumentiert, wurde zum Startschuss für eine Weltkarriere, mit der er selbst am wenigsten gerechnet hatte. Zwei Songs des Albums – das erwähnte „Suzanne“ und das für eine ehemalige Lebensgefährtin geschriebene „So Long, Marianne“ – wurden zu Kulthits.
Dass er, der in den Jahren zuvor auf der griechischen Insel Hydra gelebt hatte, nun im berühmten Chelsea Hotel residierte, kam der im Pop so wichtigen Mythenbildung ebenso entgegen wie eine Liaison mit Janis Joplin, die er später in „Chelsea Hotel #2“ verewigte. Zudem gehörte er zum engsten Zirkel der hippen Clique um Andy Warhol. Seinen Plattenvertrag verdankte er niemand Geringerem als Billie-Holiday- und Bob- Dylan-Entdecker John Hammond. Spätestens als Cohen mit dem düsteren „Songs Of Love And Hate“ 1971 sein drittes Album veröffentlichte, galt er neben Bob Dylan und Paul Simon als einflussreichster Pate der jungen Singer/Songwriter-Szene. Cohens Poeme waren dunkle Erkundungsreisen in das Innenleben gescheiterter Beziehungen, religiöse Mythen- und bizarre Albtraumwelten voller pessimistischer Phantasien. Seinen monotonen Sprechgesang paarte er dabei mit spartanischen Arrangements, oft genug reichten eine einsam gezupfte Gitarre und geisterhaft durch die Klangkulissen wehende Streicher – nicht eben der Stoff, aus dem die Hits gemacht sind. Dennoch erreichten Songs wie „Bird On A Wire“, „Famous Blue Raincoat“, „Joan Of Arc“ und „Sisters Of Mercy“ Kult- und Klassikerstatus.
Erst nach und nach ließ er buntere Instrumentierungen zu. 1977 jedoch verbrannte er sich dabei die Finger, als er Phil Spector als Produzenten für „Death Of A Ladies’ Man“ anheuerte – dessen überladene Arrangements übertönten Cohens feinsinnige Lyrik. Nach 15 Jahren und gerade mal sechs Studioalben war es zu Beginn der achtziger Jahre ruhig um Cohen geworden. In Zeiten von New Wave und MTV schien der leise Poet eine Figur von gestern. Umso überraschender sein Comeback. Zunächst nahm er mit Jennifer Warnes das gemeinsame Album „Various Positions“ (1984) auf, dann landete die Sängerin mit ihrer Version von „First We Take Manhattan“ einen Riesenhit, und schließlich ließ Cohen selbst das Album „I’m Your Man“ folgen – Ende der achtziger Jahre hatte ihn eine neue Generation entdeckt. Die Cohen-Renaissance schlug sich in zwei Tribute-Alben („I’m Your Fan“, 1991, „Tower Of Song“, 1994) nieder, auf denen die Elite aus Pop undRock dem Melancholiker huldigte. Es folgte „The Future“ von 1992, das mit düsterer politischer Propheterie überraschte, die noch heute verblüfft: „I’ve seen the future, baby: It’s murder“. Mit dem Nachsatz allerdings: „But cheer up anyway!“ Kopf hoch also – Cohen wurde altersmilde. Und verschwand bald darauf für einige Jahre in einem kalifornischen Zen-Kloster.
Spätestens als er im Jahr 2001 von dort zurückkehrte und mit „Ten New Songs“ ein neues Album vorlegte, war seine Metamorphose vom „Ladies’ Man“ der Pop-Boheme zum großen alten Weisen der Songpoesie abgeschlossen. Wenn der Sänger, in dessen Musik sich die Spuren der Beat-Poeten der fünfziger Jahre ebenso wie die der großen französischen Chansonniers finden, heute im Nadelstreifen-Zweireiher und mit Fedora durch die Konzertarenen tourt, wirkt er wie ein in Zivil gekleideter Mönch – gütig, voller Demut und geradezu kindlicher Lebensfreude. Lange bevor er mit seinen Liedern in die Welt trat, wusste Leonard Cohen um die Kraft der Worte. Seit mehr als vier Jahrzehnten nun zeigt er uns, wie nachhaltig sie wirken, wenn sie von einem stillen, scheuen Mann mit leiser Stimme gesungen werden.
Reclam Musik Edition widmet diesem Ausnahmekünstler nun einen Platz in der „All Time Best“-Serie, die Musiker wie Johnny Cash, Bob Dylan und Simon&Garfunkel umfasst. Seit mehr als 150 Jahren setzt der Traditionsverlag Reclam Maßstäbe. Sein einzigartiges Renommee verdankt er den großartigen Editionen der Weltliteratur, Kompendien zu Kunst und Kultur, anspruchsvollen Sachbüchern und einem hochklassigen Taschenbuchprogramm. In dieser Ausgabe sind seine wichtigsten Songs zusammengefasst – von „Suzanne“ bis „First We Take Manhattan“