MILES DAVIS: „ICH LIEBTE DIESE BAND!”
Vielleicht war es die beste Jazz-Band aller Zeiten: 1967 tourte Miles Davis mit Tony Williams, Herbie Hancock, Wayne Shorter und Ron Carter – anlässlich seines 20. Todestages erscheint mit „Live In Europe 1967 – Bootleg Vol. 1“ erstmals eine umfassende Dokumentation der legendären Tournee.
Text: Ernst Hofacker
„Mann, ich liebte diese Band.“ So fasste es Miles Davis in seiner Autobiografie kurz und knapp selbst zusammen. Er hatte allen Grund dazu, nicht umsonst gilt diese Besetzung bis heute als die wohl beste, die der legendäre Trompeter je um sich versammelt hat. Weiter schwärmte der Meister: „Auch wenn wir einen Song ein Jahr lang immer wieder spielten, wurde am Ende ein völlig neues Stück daraus. Sobald ich mit Tony spielte, diesem kleinen Genie, musste ich mich jedes Mal auf was anderes einstellen. Und so war’s mit der gesamten Band. Jeden Abend spielten wir die alten Stücke, als ob sie neu wären.“
Insofern dürfte es die Musiker kaum gestört haben, dass das Publikum im Konzertsaal wenig Interesse an den neuen Stücken zeigte, die Miles mit dieser Gruppe Mitte der 1960er eingespielt hatte, sondern stattdessen die Davis-Klassiker wie „Kind Of Blue“ und „Round Midnight“ oder Standards wie „On Green Dolphin Street“ hören wollte – die Band machte sich ohnehin jeden Abend ihren eigenen Reim auf diese Vorlagen.
Gesucht und gefunden
Zusammengekommen war die Besetzung im Mai 1963 während der Arbeiten an Davis’ Album „Seven Steps To Heaven“. Bassist Ron Carter war mit 26 Jahren der Älteste dieser jungen Garde, Pianist Herbie Hancock zählte 23 Jahre, und Drummer Tony Williams war mit gerade mal 17 Jahren der Benjamin. Im September 1964 stieß der 31-jährige Saxophonist Wayne Shorter zur Band, deren Leader Davis zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt war.
In der Folge zelebrierte dieses Quintett auf hochgelobten Alben wie „E.S.P.“, „Miles Smiles“, „Scorcerer“ und „Nefertiti“ eine konkurrenzlos elegante Hardbop-Mischung, die Charlie Parker und Duke Ellington ebenso im Sinn hatte wie die Free-Experimente eines John Coltrane und Ornette Coleman. Davis und die Seinen musizierten gleichermaßen introspektiv wie gelegentlich expressiv, immer aber mit bestechender Präzision, nie versiegender Abenteuerlust und emotionaler Intensität. Kurz: Das Miles Davis Quintet jener Tage definierte den Stand der Dinge in Sachen Modern Jazz und bedeutete Konzentration, Inspiration sowie Perfektion an der historischen Schnittstelle zwischen Cool, Hardbop, Free und Electric.
Exquisite Dokumentation der Europa-Tournee ’67
Aus Anlass des 20. Todestages von Miles Davis am 29. September 1991 dokumentiert „Live In Europe – Bootleg Vol. 1“ nun zum ersten Mal die Europa-Tournee vom Herbst 1967. Auf drei CDs bietet das Deluxe-Box-Set ein komplettes Konzert (Antwerpen, 28.10.67) sowie Ausschnitte von diversen weiteren Tourstationen. Dazu zeigt eine DVD das bislang einzige bekannte Filmmaterial des Miles Davis Quintet aus dem Zeitraum von 1965 bis 1968, das während jener Konzertreise teils vom schwedischen Fernsehen, teils vom deutschen Südwestfunk anlässlich des Konzertes in der Karlsruher Stadthalle am 7. November aufgezeichnet wurde. Abgerundet wird das Set durch ein 28-seitiges Booklet mit raren Fotos und Liner Notes von Miles-Davis-Experte Ashley Kahn. Für den kleineren Geldbeutel gibt es die abgespeckte Version mit den Höhepunkten des Pakets auf einer CD („Live In Europe –Best Of Bootleg Vol. 1“).
Fazit: eine Fundgrube, die das Miles Davis Quintet auf der Höhe seiner Kunst zeigt. Bereits wenige Monate später, im Januar 1968, begann sich Davis mit elektrischen Instrumenten und den Einflüssen der jungen Rockmusik zu beschäftigen. Das aber ist eine andere Geschichte.
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