Sep
5
2011

DER LETZTE ZEUGE: ZUM TOD VON DAVID “HONEYBOY” EDWARDS

David-Honeyboy-Edwards

Im biblischen Alter von 96 Jahren ist am Montag David “Honeyboy” Edwards gestorben, der einst mit Robert Johnson und Johnny Shines durch’s Mississippi-Delta zog. Damit ist die mythische Ära des Pre-War-Blues endgültig Geschichte.

Von Johannes Waechter

WaechterEs wäre nicht schwer zu argumentieren, dass die sagenumwobene Ära des Pre-War-Delta-Blues schon vor über siebzig Jahren zu Ende gegangen ist, jene Zeit, als Musiker wie Robert Johnson, Skip James und Charley Patton durch den amerikanischen Süden zogen und eine Musik spielten, die uns bis heute begeistert und inspiriert. Doch erst am Montag ist diese Ära wirklich zu Ende gegangen, da starb mit David “Honeyboy” Edwardsnämlich der letzte Musiker, der damals bereits dabei war. (Der ähnlich langlebige Pinetop Perkins war leider schon im März verstorben.) “This morning Monday August 29, 2011, about 3 am while resting peacefully at home, Honeyboy moved on to blues heaven”, steht auf seiner Webseite. Im Juni hatte er noch Konzerte gegeben.

Oft verehrt man solche altgedienten Musiker für vergangene Großtaten und dafür, dass es sie überhaupt noch gibt. Ich hatte in den letzten Jahren dreimal Gelegenheit, Honeyboy live zu sehen, und muss gestehen, dass ich vor dem ersten Konzert nicht besonders viel von dem damals bereits 91-Jährigen erwartete. Was für ein Irrtum! Honeyboy beeindruckte mich mit seinem exzellenten Fingerpicking und bot seine Songs mit der Energie eines wesentlich jüngeren Mannes dar. Gleichzeitig hatte sich all seine Lebenserfahrung im klagenden Ton seiner Stimme abgelagert.

Anders als die berühmteren Delta-Blues-Männer machte Honeyboy in den Dreißigern noch keine Platten. Seine ersten Aufnahmen datieren von 1942, als Alan Lomax ihn in Clarksdale, Mississippi traf, bis in die Siebziger hinein war er nur selten im Studio. Anfang der Fünfziger zog er nach Chicago und arbeitete lange als Nachtwächter, Ende der Achtziger wurde er dann wiederentdeckt und trat auf zahlreichen Blues-Festivals auf; außerdem veröffentlichte er ein ca. zehn CDs umfassendes Alterswerk.

Interessanter als diese CDs ist jedoch seine 1997 erschienene Autobiographie The World Don’t Owe Me Nothin’. Jedem Bluesfan kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen. Honeyboy erzählt detailliert, farbig und ausgesprochen packend aus seinem ereignisreichen Leben. Aus seinen Berichten von gemeinsamen Reisen und Auftritten mit Bluesgrößen wie Big Joe Williams, Johnny Shines, Robert Johnson und Big Walter Horton wird deutlich, wie diese Männer damals lebten und wie ihre Musik entstand: Als fahrende Musiker trampten oder wanderten sie von Dorf zu Dorf und spielten überall dort, wo ein paar Leute sie hören wollten; Gefängnis, Armut, Besäufnisse und Frauengeschichten sind Teil der Saga. Nebenbei räumt Honeyboy mit dem vielfach von weißen Forschern verbreiteten Vorurteil auf, dass die Bluessänger aus Trauer über ihr schlimmes Leben an einsamen Straßenkreuzungen Klagelieder sangen: Er lässt keinen Zweifel daran, wie viel Spaß ihm dieses Leben machte, vor allem im Vergleich zu einem Dasein als Baumwollpflücker, und wie viel Anerkennung den Bluesmännern auf ihren Reisen entgegengebracht wurde.

Vergangenheit ist das alles schon lange, doch bis vorgestern war der letzte Zeuge dieser Zeit noch unter uns. Nun müssen wir versuchen, diese musikhistorisch bedeutende Ära ohne seine Hilfe zu verstehen.

Hier ein Song von Honeyboys erster Session mit Alan Lomax:

Und hier eine Aufnahme von einem seiner letzten Auftritte im April 2011:

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Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future”.