Jun
10
2011

WAECHTER BLOG: WIE KONSERVATIV IST NEIL YOUNG?

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Neil Young hat ein neues, faszinierendes Live-Album aus seinem Archiv hervorgekramt: A Treasure entstand in den Jahren 1984/85, die als schwächste Phase seiner Karriere gelten. Und auch politisch hatte er damals ziemlichen Ärger…

Von Johannes Waechter 

Am Freitag erscheint Neil Youngs neues Album A Treasure (Warner). Es ist die neunte Ausgabe von Youngs Archiv-Serie mit alten Konzertmitschnitten und enthält zwölf Live-Aufnahmen aus den Jahren 1984/85; fünf dieser Songs waren bisher unveröffentlicht. Vielen gelten jene Jahre bis heute als finsterstes Kapitel von Youngs langer Karriere, als eine Zeit, in der er musikalisch und politisch hochgradig verwirrt war. Das neue Album gibt nun Anlass, dieses Urteil zu überprüfen.

Der Ärger entzündete sich damals an Interviewäußerungen, in denen Young Sympathie für Ronald Reagan bekundete. (In diesen späteren Interviews rekonstruierte er die ganze Affäre als böswillige Presse-Attacke.) Vor allem im friedensbewegten Europa machte Young sich damit viele Feinde. Hinzu kam, dass man bei gründlicher Suche auch auf den Platten, die er damals veröffentlichte, konservative Gedanken entdecken konnte. Sein Idealbild einer Heilen Welt schien das Kleinstadt-Amerika der Fünfzigerjahre zu sein, und auf dem Countryalbum Old Waysfragte er gar: “Are there any more country families/ Still working hand in hand / Trying hard to stay together / And make a stand?” Da hatten viele seiner Fans doch ganz andere Probleme.

Musikalisch sind diese Jahre durch abrupte Richtungswechsel und stilistische Experimente gekennzeichnet. Auf Trans und Landing On Water experimentierte Young mit Synthesizer und Vocoder, Everbody’s Rockin’ ist hingegen eine Hommage an den Rockabilly-Sound der Fünfziger. Ich fand Youngs Wagemut immer faszinierend und halte Trans und Old Ways für exzellente Alben, doch seine politischen Äußerungen haben mich schon damals gewundert, vor allem der Song “Motor City” vom Album Re-Ac-Tor, der nun auch auf A Treasure enthalten ist. Youngs Sympathie für die Sorgen des kleinen Mannes mündete hier in einem erschreckend schlichten Klagelied, in dem er den Japanern die Schuld am Niedergang der amerikanischen Auto-Industrie gibt.

Wenn man heute auf Neil Youngs Karriere zurückblickt, so fällt auf, dass seine politischen Äußerungen grob in zwei Gruppen zusammengefasst werden können: Zum einen gibt es die Protestsongs in der Hippie-Tradition, in denen Young gegen Krieg, Unterdrückung und falsche Führer kämpft, zum Beispiel “Ohio”, “Rockin’ In The Free World” und das Album Living With War. (Dazu die Anmerkung, dass Young seit letzter Woche wieder mit Buffalo Springfield auf Tour ist!) Zum anderen hat er auch immer wieder patriotische Songs veröffentlicht, in denen er den amerikanischen Mythos von der selbstverwalteten Gemeinschaft beschwört und die Meinung durchscheinen lässt, dass die Probleme der modernen Welt durch Rückbesinnung auf die einfachen Tugenden unserer Großväter zu lösen seien; Songs wie “Comin’ Apart At Every Nail” oder das Greendale-Album passen in diese Kategorie. Letzteres wurde selbst von Youngs Fans ausgesprochen kontrovers diskutiert.

Inzwischen habe ich es aufgegeben, in Youngs politischem Denken nach Kohärenz zu suchen. Ich mag ihn auch für seine Widersprüche und finde es erfreulich, dass er sich überhaupt als politischen Künstler versteht und regelmäßig seine Meinung kundtut – anders als die meisten anderen Singer-Songwriter seiner Generation (und der folgenden), die sich lieber auf der dritten Meta-Ebene bewegen. So sehr ich zum Beispiel Bob Dylan schätze, so schade finde ich es, dass der letzte Dylan-Song mit einem konkreten Thema aus den Achtzigern datiert.

Um zur neuen Platte A Treasure zurückzukommen: Wie immer man sie auch inhaltlich bewerten möchte, musikalisch ist sie großartig. Das liegt vor allem an den International Harvesters, einer recht vielseitigen Band, mit der Young sowohl dynamischen Garagenrock spielen konnte als auch stilechte Countrymusik mit Geige und Steel Guitar. Die Widersprüche, die Youngs Album-Katalog aus dieser Zeit prägen, scheinen hier zu einem schlüssigen Sound vereint, der meist überzeugender groovt als der ruppige Garagenrock von Crazy Horse. Die Version von “Southern Pacific”, die hier enthalten ist, gefällt mir zum Beispiel besser als die Original-Version auf Re-Ac-Tor, und “Grey Riders”, eines von Youngs großen verloren Stücken, kann es mit jedem seiner Feedback-Rock-Epen aufnehmen. Bloß mit dem Cover hätte man sich ein bisschen mehr Mühe geben können. Ein Traktor. Hmm…

Was hat Neil Young selbst zu dem Album zu sagen? Hier seine faszinierenden “Tech-Notes”: 

Und hier noch “Grey Riders”:

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Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future”.