Jan
4
2011

WAECHTER-BLOG: MEINE SIEBEN SCHÖNSTEN POP-MOMENTE 2010

Bewegende Songs, großartige Entertainer, magische Musikmomente – im Pop gibt eswaechter_blog viel, worüber man sich freuen kann. Hier ist mein – wie immer streng subjektiver – Rückblick auf die Höhepunkte des vergangenen Pop-Jahres.

Von Johannes Waechter, SZ-Magazin

1. K’naan und sein WM-Hit “Wavin’ Flag”
In diesem Blog habe ich schon häufiger den somalisch-kanadischen Rapper K’naan angepriesen (hier ein älteres Interview mit ihm). Bis Anfang des Jahres war er ein Geheimtipp, dann wurde er ausgewählt, die offizielle Coca-Cola-Hymne zur Fußball-WM in Südafrika zu singen. Mit dem Song “Wavin’ Flag” gelang ihm ein Welthit — endlich war es mal wieder kein Casting-Klon, der global abräumte, sondern ein interessanter, sympathischer und gehaltvoller Künstler, der den Erfolg voll und ganz verdient. Ich hätte nicht gedacht, dass zu meinen Pop-Höhepunkten jemals ein Ausschnitt aus “Wetten, dass…” gehören würde, aber wie K’naan in der Sendung aus Mallorca seine Chance nutzte und in vier Minuten den Sprung vom Undergroundstar zum Erfolgskünstler schaffte, das war schon ergreifend. In der Woche danach ging sein Song in Deutschland auf die Eins.

2. Rumer und ihr Song “Aretha”
In England ist das Debütalbum Seasons Of My Soul (Warner) von Rumer bereits im November erschienen, in Deutschland kommt es erst im Februar heraus. So hatte die englische Musikpresse bereits ausgiebig Gelegenheit, die 31-jährige Sängerin zu bejubeln. “Die beste neue Stimme des Jahres” schrieb Mojo, “das aufregendste Talent der Stunde” dichtete der Observer. Rumer macht elegischen Popsoul im Stil von Burt Bacharach und K.D. Lang, der mir manchmal fast ein wenig zu gediegen ist. Restlos überzeugend finde ich aber ihren Song “Aretha”, der beschreibt, wie der Gesang Aretha Franklins ein junges Mädchen verzaubert. Hoffen wir, dass Rumer sich kommendes Jahr auch in Deutschland durchsetzen kann – und dass es der echten Aretha bald wieder besser geht, die neulich im Krankenhaus war und anscheinend an Bauchspeicheldrüsenkrebs leidet.

3. Dirk Darmstaedter und Bernd Begemann
Die beiden Hamburger sind nicht nur Sänger und Entertainer, sondern auch veritable Pop-Historiker; vor kurzem fand ich in einem Plattenladen endlich den tollen Sampler mit deutschen Pop-Perlen aus den Sechzigern, den Darmstaedter vor einigen Jahren herausgegeben hat. Irgendwie war es also folgerichtig, dass die beiden sich auch auf einem eigenen Album mit der deutschen Pop-Vergangenheit beschäftigen würden. So geht das jede Nacht (Tapete) erschien im Herbst und enthält ein Dutzend deutsche Rockabilly- und Doo-Wop-Songs aus den Fünfzigern, die Begemann und Darmstaedter mit Charme und Verve covern – ein ausgesprochen lebendiges, humorvolles und unterhaltsames Album. Darmstaedter sagte dazu: “(Die Platte) funktioniert für mich aber auch als echtes Zeitdokument, denn nach dem zweiten Weltkrieg wollte man in Deutschland rocken, aber man wusste noch gar nicht richtig, wie es geht. Das merkt man sowohl der Musik als auch den Texten an. Die Originalversionen sind ja letzten Endes von Schlager- und Musicalmusikern eingespielt worden, die gemerkt haben: Oh, wir müssen jetzt rocken, aber was bedeutet das eigentlich? Das ist schon eine interessante kleine Reise, die wir da veranstalten.” Als Vertreter Niedersachsens schafften es Begemann und Darmstaedter sogar zum Bundesvision Song Contest 2010 – doch oh je, mit nur vier Punkten landeten sie auf dem letzten Platz. Jeder Traum hat ein Ende, würde ich sagen.

4. Aloe Blacc
Der Kollege Jens-Christian Rabe hat “I Need A Dollar” in der Süddeutschen Zeitung als Song des Jahres bezeichnet, und dieser Einschätzung habe ich nichts hinzuzufügen, außer dass ich auch den Rest von Aloe Blaccs Album Good Things (Stones Throw/Universal) für ausgesprochen gelungen halte. Von Musikern wie Leon Michaels, Nick Movshon und Homer Steinweiss erwartet man eher ein Groove-Feuerwerk, doch diesmal brillieren die Cracks hinter Daptone und Truth&Soul eher bei den langsameren Stücken, zum Beispiel “Green Lights”. Ein wunderbar durchlässiges, sanft pulsierendes Album, auf dem allein die Velvet-Underground-Coverversion “Femme Fatale” unangenehm auffällt.

5. Der knarzige Blues von C.W. Stoneking
C.W. Stoneking ist ein 36-jähriger Australier, der dem Pre-War-Blues mit einer Konsequenz verfallen ist, die ich sehr sympathisch finde. “I like the old stuff”, sagt er. “To me it sounds real primitive, timeless, just has an old ancient beauty to it.” Der elektrische Blues, wie er heute gespielt wird, würde ihn hingegen an eine billige Kneipe erinnern, in der man sich nur ungern aufhält. Im Spätsommer erschien sein Album Jungle Blues (King Hokum/Essential), auf dem er den Sound und die Themen des frühen Blues, Calypso und Jazz in die Gegenwart holt; mal mit Anklängen an Jimmie Rodgers, mal mit exotischen Klängen, die einst Afrika simulieren sollten. Aufnahmetechnisch hat das Album stets ein knarziges, an Tom Waits erinnerndes Retro-Feel, wobei mich die Ernsthaftigkeit, mit der sich Stoneking in die alte Musik vertieft, auch an Leon Redbone erinnert hat. Und er trägt auch weiße Anzüge…

6. Afrocubism
Die Geschichte hinter diesem Album ist schon oft erzählt worden: Eigentlich sollten diese gemeinsamen Aufnahmen afrikanischer und kubanischer Musiker vor dreizehn Jahren stattfinden, doch dann bekamen die Afrikaner keine Visa und die Kubaner nahmen alleine auf, Ergebnis: Buena Vista Social Club. Das Album Afrocubism (World Circuit) beweist nun, wie gut die Ursprungsidee war, wie reizvoll sich die Kora von Toumani Diabaté und die Gitarre von Eliades Ochoa verbinden, von den Rhythmen ganz zu schweigen. Die Freude am Album wird noch dadurch gesteigert, dass es ganz exzellent klingt – Jerry Boys, der schon beim Buena Vista Social Club für die Aufnahme verantwortlich war, sitzt auch hier wieder an den Reglern.

7. Der unermüdliche Eli “Paperboy” Reed
Zum Schluss ziehe ich noch den Hut vor Eli “Paperboy” Reed. Über die Vor- und Nachteile des Retrosoul habe ich  anläßlich von Reeds Konzert in München Anfang Mai nachgedacht, im Lauf des Jahres hat sich mein Respekt vor ihm aber eher noch gesteigert, vor allem wegen desBrooklyn Soul Fest, das er Anfang Oktober ausgerichtet hat. Bei dieser Veranstaltung überließ Reed originalen Soulkünstlern wie Betty Wright, Vernon Garrett und Don Gardner das Rampenlicht und trat selbst nur als Promoter und Opening Act auf. Ach, wäre man dabei gewesen! Obwohl Reed ein reiner Retro-Künstler ist, bin ich sicher, dass wir in den nächsten Jahren noch viel von ihm erwarten können.

 

 

 

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Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future.”.