Sep
6
2012

GUT, BESSER, BOB – DYLANS „TEMPEST“

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Das Gute ist der Feind des Besseren – sagte sich wohl auch Bob Dylan (71) und toppt mit „Tempest“, dem nunmehr 35. Studioalbum seiner Karriere, locker das ohnehin schon schwindelerregende Niveau seiner letzten Arbeiten.  
von Ernst Hofacker

Dylan_300Je älter Bob Dylan wird, desto verlässlicher zeigt sich bei jedem neuen Studioalbum ein besonderes Phänomen: Das Feuilleton deliriert flächendeckend. In seitenlangen Elogen sezieren die Kollegen das jeweils Neueste vom alten Grantler bis in tiefste Schichten, und einschlägige Fachgazetten verteilen eifrig Höchstwertungen. So auch diesmal, die Branche erstarrt in Ehrfurcht. Der Rolling Stone gibt fünf von fünf möglichen Sternen, und das britische Magazin Uncut schreibt vom „weitreichendsten, provozierendsten und bestechendsten Album seiner späten Karriere“. Die SZ schwärmt von „Bänkelgesängen, so uralt wie die Musik“ und dichtet vom „pophistorischen Sandmann“, der „den Staub, das getrocknete Laub, die in den Schuhen angesammelte Steinchen über die Gegenwart“ streut.

So dicke haben wir’s leider nicht. Halten wir uns also an die Fakten, zumal es schon immer ein tückisches Unterfangen war, ausgerechnet dem verschlagensten aller Songwriter Bedeutung und Absichten unterzujubeln – zu oft findet sich der Kritiker in der Rolle des Hasen wieder, dem der Igel einmal mehr enteilt ist.

„Tempest“ bringt zehn neue Songs, mit Ausnahme des beschwingten Openers „Duquesne Whistle“, das der Meister gemeinsam mit Grateful-Dead-Lyriker Robert Hunter geschrieben hat, aus der Feder von Dylan selbst. Musikalisch ist das Album angesiedelt im mittlerweile Dylan-typischen Terrain zwischen altmodischem Western Swing, polterndem Blues und meditativem Folkrock, wohltuend nüchtern und vollkommen zeitlos produziert. Inhaltlich hat sich Dylan diesmal auf die Kunst des Storytelling besonnen. Vor allem in den epischen Monologen der zweiten Albumhälfte  – „Scarlet Town“, „Tin Angel“ und dem Titeltrack, einer fast viertelstündigen Meditation über den Untergang der Titanic – wimmelt es von großen und kleinen Geschichten und Figuren, die ebenso der Welt von „Desolation Row“ wie den uralten Folkballaden der Harry-Smith-Collection entstammen könnten. Die thematisch im Schattenwurf menschlicher Existenz angesiedelten Songs trägt Dylan mit dem lakonischen Gestus des alten Fahrensmannes vor, der auf seinen Reisen alles und mehr gesehen hat.
Keine Frage, in der inzwischen an Ereignissen armen Welt der zeitgenössischen Musik ist ein neues Dylan-Album mehr denn je ein Ereignis. Die Autorität des kleinen Mannes mit dem Menjou-Bärtchen ist schließlich allenfalls vergleichbar mit der von Jahrhundert-Literaten. Und natürlich ist „Tempest“ nicht Pop, es ist hohe Kultur. Wenn man so will: E-Musik. Ein Fall fürs Feuilleton (sowieso – siehe oben) und doch so spannend und zugänglich wie ein großer Roman.

Ganz nebenbei ist „Tempest“ auch ein Statement gegen den allgegenwärtigen Marketing-Wahn – nie war ein Dylan-Album lieb- und schmuckloser verpackt. Der Absender ist Marke genug.

„Tempest“ erscheint am 7. September.

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