Essay: Die groovigen 70er
Dance to the Music: Nachdem die Sixties aufgearbeitet und abgelegt sind, entsteht in den 1970er Jahren ein neuer Mainstream für die erwachsen gewordene Generation Pop. Die Kids gehen derweil in die Disco und fangen sich das „Saturday Night Fever“. Oder sie rütteln am Thron der Pop-Schickeria – Punk rules!
von Ernst Hofacker
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In den 1970er Jahren erweist sich die junge Rockmusik als musikalisches Konzept, unter dessen Dach die unterschiedlichsten Stile einen Platz finden. Blues und Country gehören ohnehin zu den tragenden Säulen. Ein Gigant wie der große Miles Davis entwickelt nun einen gangbaren Weg, auf dem sich Jazz und Rock begegnen können. Begleiten lässt sich der Veteran dabei von Talenten wie Chick Corea, Herbie Hancock und John McLaughlin. Sie alle werden bald auch mit eigenen Projekten populär.
Glamour für den Rock
Derweil erinnern sich in England junge Musiker an die Tradition von Vaudeville und Music Hall. Marc Bolan, Elton John, Roxy Music und David Bowie greifen auf die Mittel der Comedy und des Varietés zurück und entwickeln den Glamrock mit spektakulären Theaterelementen und androgynen Rollenspielen. Begabte Bands wie Queen nehmen das Konzept auf, Bowie wird zum Primus inter Pares.
Apropos Theater: Visuelle Elemente spielen auch bei Konzerten eine immer wichtigere Rolle. Die Beschallungstechnik stellt gewaltige P.A.-Anlagen bereit, die Shows werden aufwendiger, die Effekte spektakulärer. „Höher, schneller, weiter!“ auch in der Musik: Pink Floyd erweitern Form und Klangkosmos des Rock, ihre opulenten Suiten nehmen ganze Langspielplattenseiten ein. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Synthesizer, ein neuartiges Instrument, das durch elektronische Synthese nie gehörte Klänge erzeugt.
Elektro, Westcoast und Heavy Metal
War die Elektronik bis dahin auf das Feld der experimentellen Musik beschränkt, so hält sie nun Einzug im Pop. Deutsche Underground-Acts wie Can, Kraftwerk und Tangerine Dream treiben die Entwicklung voran. Währenddessen entwickelt sich an der amerikanischen Westküste ein neues Epizentrum der Rockmusik. Der dortige Softrock etabliert das Konzept des Singer/Songwriters und äußert sich in der introvertierten Liedkunst von Joni Mitchell, Jackson Browne und Randy Newman.
Der Hard Rock, wie ihn Led Zeppelin, Deep Purple, Jethro Tull und andere aus dem britischen Blues hervorgegangene Bands pflegen, wird zum Ende der 1970er Jahre in das neue Genre des Adult Oriented Rock überführt. Der von Bands wie Black Sabbath begründete Heavy Metal indes bleibt beständig am Rand des Mainstream und erfährt zum Ende des Jahrzehnts eine Erneuerung durch die New Wave Of British Heavy Metal mit Iron Maiden, Saxon und Judas Priest.
Rastaman Vibration
Eine bedeutende Bereicherung des Pop-Spektrums hat sich in der Abgeschiedenheit der Karibik entwickelt. Bob Marley & The Wailers gelingt es 1973, den bis dahin kaum beachteten Reggae zu popularisieren. Dazu gibt Jamaika durch Künstler wie Lee Perry und King Tubby nachhaltige Impulse für kreative Produktionsarbeit und darf sich rühmen, den modernen DJ beziehungsweise MC und damit eine zentrale Figur des zeitgenössischen Pop inspiriert zu haben.
In der Mitte des Jahrzehnts hat sich Pop zum millionenschweren Business entwickelt. Ab 1976 kommt es folgerichtig zur Gegenreaktion. Im Punk besinnen sich junge Bands auf die rohe Kraft der ursprünglichen Rockmusik und etablieren eine nihilistische Ästhetik, die sich in Mode, Musik sowie Verachtung des kommerzorientierten Establishments niederschlägt. Dennoch sind die Rädelsführer Sex Pistols, Clash und Ramones das Produkt eines kühl kalkulierenden Marktes – so verebbt der Punk schnell in den Fängen einer Industrie, die längst gelernt hat, jugendliche Protestposen mit Hilfe konsumgängiger Lifestyle-Produkte auszubeuten.
Den neben dem Einsatz elektronischer Instrumente folgenreichsten Impuls der 1970er Jahre aber setzt die Black Music: Funk und Soul bilden die Säulen einer neuen Tanzmusik. Bezeichnenderweise wird Disco allerdings erst mit den weißen Bee Gees zum Mainstream-Stil – die Brüder Gibb verabreichen dem Genre infektiöse Popmelodien und räumen mit dem Soundtrack zum Kinohit „Saturday Night Fever“ (1977) weltweit ab. In Kalifornien wird da allerdings schon die nächste Revolution vorbereitet – man wird sie digital nennen.
► Übersicht Albumperlen: 50er bis 2000er
Santana
Abraxas, 1970
Wer könnte schon von sich behaupten, einen ganzen Musikstil erfunden zu haben? Carlos Santana (*1947) kann das, er schenkte der Welt den Latin Rock. 1969 wurde seine Band Santana durch das Woodstock Festival berühmt, 1970 räumte sie mit dem Album Abraxas und dem Welthit „Black Magic Woman“ ab, und 1999 gelang dem Maestro nach langer Durststrecke mit Supernatural ein triumphales Comeback.
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Santana: Woodstock im Herzen
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Janis Joplin
Pearl, 1971
Ihren größten Triumph erlebte sie nicht mehr, am 4. Oktober 1970 starb Janis Joplin mit gerade mal 27 Jahren. Bis zuletzt hatte sie an Pearl gearbeitet, ihrem besten Album, das mit „Me And Bobby McGee“ und „Mercedes Benz“ zwei Songs enthielt, die zu ihrem Vermächtnis wurden. Einen umfassenden Überblick über das Werk dieser größten aller weißen Bluessängerinnen bietet die Compilation Anthology.
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Janis Joplin: The Pearl Sessions
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Sly Stone
There’s A Riot Goin’ On, 1971
Keiner kombinierte die Eleganz des Funk, die Intensität des Soul und die Phantasie des Psychedelic Rock mit leichterer Hand als Sylvester „Sly Stone“ Stewart. Sein 1971er-Album There’s A Riot Goin’ On formulierte überdies pointiert und poetisch die Befindlichkeiten des schwarzen Amerikas jener Zeit – neben dem legendären Stand (1969) zweifellos Stones bestes Album!
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Sly Stone: Artist Of The Month
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Kris Kristofferson
Kristofferson, 1971
Seine Songs kamen still und leise, und sie entfalteten eine immense Wirkung: Schon Kris Kristoffersons selbstbetiteltes Debüt von 1971 bot Gänsehautballaden wie „Help Me Make It Through The Night“, „For The Good Times“ und das Original von Janis Joplins „Me And Bobby McGee“. Es war erst der Anfang, Kristofferson (*1936) hielt sein Niveau, nachzuhören auf der Retrospektive The Very Best Of.
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Muddy Waters
Hard Again, 1977
Kaum einer hätte im Punkjahr 1977 geglaubt, dass der 62-jährige Muddy Waters noch ein solches Pfund in petto haben würde. Johnny Winter wusste es besser und produzierte mit dem Vater des Chicago Blues das unfassbar vitale Comeback Hard Again. Welche Macht der alte Herr im Herbst seiner Karriere auch auf der Bühne noch darstellte, zeigt das Live-Dokument Muddy ‘Mississippi’ Waters: Live (1979).
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Die besten Gitarristen der Welt
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Waylon Jennings
Honky Tonk Heroes, 1973
Waylon Jennings (1937-2002) war schon seit zehn Jahren im Geschäft, als er mit Honky Tonk Heroes endlich seine Stimme und mit dem Co-Songwriter Billy Joe Shaver seinen kongenialen Partner fand. Zusammen wirken beide hier als Geburtshelfer des Outlaw Movements, das die Country Music erneuern sollte. Einen Querschnitt durch die vier Jahrzehnte seines Schaffens bietet Ultimate Waylon Jennings.
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Waylon Jennings remastered
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Rory Gallagher
Irish Tour, 1974
Auf der Bühne war er in seinem Element – und kaum ein Album dokumentiert das besser als Irish Tour, das im Januar 1974 bei zwei großartigen Konzerten in Cork und Belfast mitgeschnitten wurde. Rory Gallagher (1948-1995) gehörte zu den begabtesten Gitarristen seiner Generation und ab Mitte der 1970er Jahre auch zu jenen mit Starruhm. Sein erfolgreichstes Studioalbum wurde 1976 Calling Card.
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Rory Gallagher: Kickback City
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Willie Nelson
Red Headed Stranger, 1975
Lange schon gehörte Willie Nelson (*1933) zum Urgestein der Countryszene, bereits 1961 hatte er für Patsy Cline den Hit „Crazy“ geschrieben. 1972 aber hatte er die Nase voll, verließ Nashville und erfand sich neu. Mit dem Konzeptalbum Red Headed Stranger gelang ihm 1975 endlich der Durchbruch. Einen Querschnitt durch Nelsons Bühnenkunst bietet die Live-Compilation Setlist: The Very Best Of.
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Band Of Brothers: Kreativschub für Willie Nelson
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Lou Reed
Coney Island Baby, 1976
Geht doch, mag sich mancher gedacht haben, als Lou Reed (1942-2013) im Jahr 1976 das warmherzige und zugängliche Coney Island Baby herausbrachte. 1972 war Reed mit dem Solodebüt Transformer und dem Welthit „Walk On The Wild Side“ berühmt geworden. Seitdem hatte er sein Publikum gern und regelmäßig vor den Kopf gestoßen, zum Beispiel mit dem sperrigen Noise-Experiment Metal Machine Music (1975).
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Zum Tod von Lou Reed
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Jean-Michel Jarre
Oxygene, 1977
Sensationell: Ein Franzose beherrscht die Hitlisten der Welt, noch dazu mit Instrumentalmusik! Jean-Michel Jarre, 1948 geborener Sohn des Filmkomponisten Maurice Jarre, wurde mit den suitenartigen elektronischen Klanglandschaften von Oxygene zur Überraschung des Jahres 1977. Ein Jahr später bereits konnte er den Erfolg mit Equinoxe wiederholen, seitdem zählt er zum französischen Kulturerbe.
Lesen Sie hier den Legacy-Beitrag Jean-Michel Jarre: Rückkehr einer Legende
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