DANIEL LANOIS IM INTERVIEW: “ICH HÜPFE WIE EIN FROSCH”
Neil Young, U2, Bob Dylan – der Kanadier Daniel Lanois hat einige der größten Namen im Rock produziert. Jetzt tourt er mit seiner eigenen Band Black Dub und verrät im Interview, wie er Bob Dylan und die Neville Brothers zu Höchstleistungen anspornte und warum er heute manchmal das Gefühl hat, in Informationen zu ertrinken.
Von Johannes Waechter
Daniel Lanois, die Band, mit der sie auf Tour nach Deutschland kommen, heißt Black Dub. Ist dieser Name eine Hommage an die großen Reggae-Produzenten wie Lee Scratch Perry und King Tubby?
Auf jeden Fall. Ich lebe seit 15 Jahren auf Jamaika und schätze die Dub-Kultur sehr. Lee Scratch Perry ist einer meiner Helden. Ich benutze allerdings nicht dieselbe Dub-Technik wie er, sondern eine, die ich in meinem Labor selbst erfunden habe.
Wie hat denn die Art, wie Klänge im Dub behandelt werden, Ihre eigene Tätigkeit als Produzent beeinflusst?
Mit Klängen zu experimentieren und neue Klangwelten zu erkunden ist immer noch mein Hauptinteresse. Ich habe mit Chris Blackwell über den riesigen Erfolg der jamaikanischen Musik nach dem Durchbruch von Bob Marley gesprochen. Chris meinte, dass all diese Musik erst im Studio erschaffen worden ist. Das hat mich interessiert, denn auch meine Musik entsteht im wesentlichen im Studio. Auf meine Art will ich die Tradition dieser innovativen Produzenten am Leben erhalten.
Im Dub ist der Sound manchmal so prägnant, dass der Song regelrecht zerstört wird. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Sound und Song beschreiben? Was ist Ihnen wichtiger?
Bei instrumentaler Musik sind allein die Klänge für den emotionalen Gehalt des Stücks verantwortlich. Wir gehen zwar gerade durch eine Phase, in der Instrumentals nicht besonders populär sind, aber mich haben solche Stücke immer fasziniert. Ich bin mit Coltrane und Miles Davis aufgewachsen und es gibt diesen Teil von mir, der nicht zu sehr im Bann des Songs stehen möchte.
Lee Scratch Perry wurde schon erwähnt. Was für Vorbilder haben Sie sonst noch?
Ich habe einen ziemlich breiten Geschmack, aber ganz oben stehen für mich die Platten von Jimi Hendrix. Sie sind zugleich rau und anspruchsvoll. Es ist sehr schwierig, beides auszubalancieren: Man will nicht, dass die Musik seicht ist, aber zugleich soll sie nicht obskur sein. Das ist Jimi auf beispielhafte Weise gelungen. Aber ich mag auch viele Platten, über die kaum jemand redet, wie Mantovani oder Esquivel. Was Songs angeht: Als ich begann, mich für Texte zu interessieren, war das ein großer Wendepunkt für mich. Ich saß neben Bob Dylan, während wir zwei Alben machten, was mein Sinn dafür noch weiter geschärft hat.
Musik wird heute ganz anders aufgenommen und wiedergegeben als noch vor ein paar Jahren. Was ist guter Klang im Zeitalter von MP3 noch wert?
Ach, diese Formatdiskussion … Ich denke, wenn etwas großartig ist, klingt es in jedem Format großartig. Ich höre mir auch Bob Marley auf MP3 an, kein Problem. Das eigentliche Problem liegt für mich darin, dass heute alles sofort verfügbar und dadurch auch entbehrlich ist. Wir skippen heute so schnell über alles hinweg, da bleibt kaum Gelegenheit, sich wirklich intensiv mit etwas zu beschäftigen.
Der Jazzmusiker Ben Sidran, den ich vor einem Jahr interviewt habe, hatte dafür den Begriff “the illusion of plenty”, die Illusion der Vielfalt.
Einige Leute habe mich gebeten, ihre Songs zu remixen, und dann haben sie mir Aufnahmen mit 200 Spuren geschickt. Ich habe keine Zeit, um ein Puzzle aus 200 Spuren zusammenzusetzen! Am Ende bin ich ziemlich altmodisch, 24 Spuren reichen mir.
Von all den Platten, die Sie produziert haben, schätze ich Yellow Moon von den Neville Brothers besonders. Ich habe kürzlich mit Aaron Neville gesprochen, der Ihre Methode nachdrücklich gelobt hat. Er meinte, andere Produzenten hätten stets eine Formel gehabt, nach der sie vorgegangen seien – Sie seien der einzige gewesen, der auf die Brüder eingegangen sei.
Ich habe ziemlich viel Zeit dafür verwendet herauszubekommen, was den Brüder am Herzen lag. Jeder hatte andere Vorstellungen von dem Album. Art hatte schon den Song “Yellow Moon”, Aaron wollte zwei Bob-Dylan-Songs machen: “The Ballad Of Hollis Brown”, wo es um Armut geht, und “With God On Our Side”, wo es um Gier und Egoismus geht. Cyril war der Revolutionär, Charles hat toll Saxophon gespielt. Ich habe mir alles angehört, dann haben wir diese große Melange gemacht. Vielleicht ist das in der Tat der Grund, warum das Album immer noch Widerhall findet: weil wir Dinge aufgenommen haben, die den Brüdern wichtig waren.
Aaron verriet auch, dass Sie gerade an einem neuen, gemeinsamen Projekt arbeiten. Was hat es damit auf sich?
Ich habe in meiner staubigen Bibliothek einige alte Songs gefunden, die um ein gemeinsames Thema kreisen, das auf dem Song “Black Diamond Pearl” basiert, einem alten story song, der im Gefängnis spielt; so etwas wird auch Jailhouse Toast genannt. Also habe ich die Idee entwickelt, dass die Neville Brothers ein Album mit Jailhouse Toasts machen könnten, mit traditionellen Songs, die außerhalb der Musikindustrie existieren. Es könnte an das Wild- Tchoupitoulas-Album anknüpfen, das sie in den Siebzigern gemacht haben – ein wunderbares Album, für das sie die Lieder der Indianerstämme aus New Orleans aufgegriffen haben. Wir stehen noch ganz am Anfang des Projekt, aber wir hatten einen guten Start.
Das wäre auch deshalb interessant, weil Aaron und Charles bekanntlich selbst im Gefängnis saßen. Ich habe mit Aaron über seinen Song “Jailhouse” von 1967 gesprochen – es hat mich immer fasziniert, dass er schon so früh über diese unangenehme Erfahrung gesungen hat.
Aaron ist ein Mann, der eine lange Reise hinter sich hat. Wenn man offen über seine Vergangenheit und seine Fehler redet, kann man ein Vorbild für andere sein.
Inwieweit war Yellow Moon der Vorläufer für das Bob-Dylan-Album Oh Mercy, das sie danach aufgenommen haben?
Dylan hat uns besucht, als wir Yellow Moon aufnahmen. Ihm hat gefallen, was er gesehen hat, und wir haben beschlossen, ein Album zusammen zu machen, das auf dem Vibe von Yellow Moon basiert.
Er beschreibt die Aufnahmen in einem Kapitel seiner Autobiographie Chronicles. Sie bezeichnet er als “black prince from the black hills”. Was hat er damit wohl gemeint?
Ich war zwar nie in den Black Hills, aber für mich klingt das wie ein Kompliment. Die Black Hills sind ein Teil der Appalachen, oder? Vielleicht sollte ich dort ein paar Songs schreiben… Ich denke, Bob hat meine geheimnisvolle Seite erkannt. Meine Methode hat etwas von Osmose. Ich mache eine Platte, nehme die guten Ideen danach mit zur nächsten und schaue, was sich entwickelt. So hüpfe ich wie Frosch von Album zu Album.
Ich finde, dass kaum jemand Dylans Stimme so gut aufgenommen hat wie Sie. Wie haben Sie das hingekriegt?
Da gibt es natürlich technische Aspekte. Ich habe eine gut gepflegte Sammlung von Mikrofonen. Für Bobs Stimme haben wir bei Oh Mercy ein altes Sony-Röhrenmikrofon benutzt, ein C-37A. Das konnte ich sehr nah an Bobs Mund positionieren, weil es unempfindlich gegen Feuchtigkeit ist. Je näher man ans Mikro kommt, desto mehr Bass-Sound bekommt man. Ich wollte, dass Bobs Stimme voll, tief und klar klingt, dass man jedes Wort, jeden Atemzug, jede Nuance verstehen kann. Aber natürlich hängt die Qualität einer Aufnahme nicht nur von der Qualität des Mikros ab. Man muss auch entscheiden, mit was man die Stimme umgibt. Ich hatte meine Beatmaschine, meine Roland 808, mit der habe ich einen Electro Voice Stage Monitor gefüttert, der direkt vor Bob stand. Und ich saß direkt neben ihm. Wir hatten nur diesen Beat, der wie ein Herzschlag pulsierte, zwei Gitarren und Bobs Gesang. So haben wir es geschafft, das Zentrum des Bildes zu gestalten. Später haben wir daran gearbeitet, auch noch die Ränder auszufüllen.
Seine letzten vier Alben hat Dylan selbst produziert. Ihr Urteil?
Wirklich gut gefallen hat mir der Song “Things Have Changed”, für den er den Oscar bekommen hat. Da hat er unsere gemeinsame Arbeit fortgeführt, ich war sehr stolz auf ihn. Weniger gut gefällt es mir, wenn er den Blues auf eher reguläre Weise spielt. Ich finde, er müsste den Blues der Zukunft spielen, so wie auf Time Out Of Mind. Aber ich habe eigentlich nichts an ihm zu kritisieren. Ich wünsche ihm nur das Beste.
Wir haben über die Neville Brothers gesprochen. An was für Projekten arbeiten Sie sonst noch?
Ich produziere gerade niemand anders. Ich widme mich ganz Black Dub sowie eigener Musik, die nichts mit Black Dub zu tun hat. Ich verbringe viel Zeit in meinem Labor. Manchmal muss man viele Klänge aufeinanderschichten, um die Identität eines Songs zu finden. Ich denke allerdings, dass meine Arbeit in den nächsten Jahren aus unverstellteren Landschaften bestehen wird, mit nicht mehr ganz so vielen Bäumen.
Da muss ich gleich an das Album Le Noise denken, das sie vergangenes Jahr mit Neil Young gemacht haben.
Ich liebe diese Platte für ihre Rauheit. Wir sind konsequent bei unserer Linie geblieben: One Man Standing. Musik kann eine besondere Qualität haben, wenn alles aus einer Quelle, von einem Individuum kommt. Es ist zwar nicht Neils kommerziellstes Album, aber es wird lange relevant bleiben.
Und hier noch die Konzerttermine von Daniel Lanois und seiner Band Black Dub:
21.07. — Hamburg, Fabrik
26.07. — München, Ampere
27.07. — Heidelberg, Karlstorbahnhof
28.07. — Berlin, Passionskirche
Johannes Waechter, 1969 geboren, stammt aus Berlin und war Mitte der Neunziger Musikredakteur der Berliner Stadtzeitschrift Zitty. Seit 1999 ist er Redakteur beim SZ-Magazin, wo er in den Jahren 2005 und 2006 zusammen mit Philipp Oehmke die Süddeutsche Zeitung Diskothek herausgegeben hat, eine 52-bändige Buch/CD-Reihe zur Geschichte der Popmusik. In diesem Blog geht es nicht nur um das derzeitige Popgeschehen, sondern vor allem um den großen Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Musik, inspiriert von Bob Dylans Worten: “It’s always good to know what went down before you, because if you know the past, you can control the future”.