BOB DYLAN: COLUMBIA RECORDING ARTIST – ZUM 50. JUBILÄUM
Hier eigentlich begannen die Swingin’ Sixties: 1962 war das Jahr der großen Beginner – die Beatles starteten ihre Karriere, die Rolling Stones betraten zum ersten Mal eine Bühne, und Bob Dylan brachte sein Debütalbum heraus.
Text: Ernst Hofacker
Es war eine andere Welt: Das Benzin kostete 58 Pfennige, in München begann der Prozess gegen Vera Brühne, und Marilyn Monroe lebte noch. Die Musikwelt befand sich derweil im Dornröschenschlaf. Beat, Pop, Rock & Rebellion waren noch Jahre entfernt, und die Airwaves wurden beherrscht vom Trad Jazz eines Acker Bilk, Chubby Checkers „Twist“ und plüschigen Schnulzen, hierzulande etwa „Tanze mit mir in den Morgen“ von Gerhard Wendland. Dabei braute sich längst einiges zusammen, um genau zu sein: Nichts weniger als eine Kulturrevolution stand vor der Tür. Sie formierte sich in der englischen Hafenstadt Liverpool, in den schwülfeuchten Kellerclubs des Londoner Westens und nicht zuletzt in New Yorks Greenwich Village.
Als Bob Dylan sein selbstbetiteltes Debütalbum – heute vor 50 Jahren – am 19. März 1962 auf den Markt brachte, war darauf allerdings noch nicht allzu viel von dem zu hören, was aus diesem Mund noch kommen sollte. Gerade mal bei fünf der 13 Songs war er als Komponist angegeben, der Rest des Angebots bestand aus Traditionals und Fremdkompositionen alter Folkblueser wie Mississippi Fred McDowell und Blind Lemon Jefferson. Wer indes genauer hinhörte, entdeckte in Dylans Interpretationen eine Prä-Punk-Attitüde, die den kuratorischen Wohlklang des damaligen Folkrevivals zornig gegen den Strich bürstete. Ein knappes Jahr später, im Mai 1963, als „The Freewheelin’ Bob Dylan“ erschien, hatte der wohl größte Songwriter unserer Zeit seine Stimme gefunden, Klassiker wie „Don’t Think Twice, It’s All Right“, „Masters Of War“, „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ und „Talkin’ World War III Blues“ legen noch heute vitales Zeugnis davon ab. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte und mag in einschlägigen Biografien nachgelesen werden.
Was Dylan in jenem Jahr 1962 im Schilde führte, ließ er eine Journalistin des Szeneblattes „FM-Stereo Guide“ in einem Interview wissen: „Auf Teenager wird so viel Kram abgefeuert, weil sie so viel kaufen und eine so leichte Beute sind. Ich will nicht noch eine weitere Kugel in dem Gewehr sein, das auf sie gerichtet ist.“ Tatsächlich war der Mann von anderem Kaliber. Seine Wirkung ging denn auch weit über die kaufkräftige Zielgruppe der Halbwüchsigen hinaus. Als „Columbia Recording Artist“ brachte Dylan bis heute mehr als 40 Alben heraus, die nichts weniger darstellen als eine Topographie der geistigen Kultur der westlichen Gesellschaft der vergangenen 50 Jahre.